4 Minuten

In der Haut der Bundeskanzlerin möchte man dieser Tage wahrlich nicht stecken. Die Atom-Katastrophe in Japan hat die Ängste der Bevölkerung um die Risiken der Atomenergie und ihrer Beherrschbarkeit neu entfacht… und so natürlich die Opposition auf den Plan gerufen. Wenn Politik zum Handeln gedrängt wird, ist das nicht unbedingt gut – weder für die Regierenden noch für das Volk. Wenn nun der Ausstieg vom Ausstieg vom Ausstieg erwogen wird, attestiert so mancher der Bundeskanzlerin rasch Unglaubwürdigkeit, vornehmlich diejenigen, die während der eigenen Regierungszeit ebenso um Lösungen gerungen haben und heute, wenn sie regieren würden, ebenso um die richtigen Entscheidungen ringen würden. So stellt sich die Frage: Ist es klug, wenn die Politik unter dem Eindruck einer Katastrophe Risiken und Entscheidungen neu bewertet, auch wenn keine wirklich neuen Erkenntnisse (durch die traurigen Vorfälle in Japan) zu Tage getreten sind? Ist es der Glaubwürdigkeit förderlich, wenn Entscheidungen, die nach langem gesellschaftlichen Diskurs getroffen wurden, dann neu justiert werden?

Die große Herausforderung für die Regierung – zu gleich eine grundsätzliche Herausforderung – besteht darin, dass die Menschen je nach Situation unterschiedliche Maßstäbe ansetzen und ihre Erwartungen ändern. In guten Zeiten (ohne Katastrophen) muss Strom billig und permanent verfügbar sein. In Krisenzeiten, wenn die Angst überwiegt, muss Strom vor allem sicher sein und nachhaltig produziert werden. Diesen Mechanismus kennen wir aus vielen anderen Situationen, beispielsweise im Lebensmittelkonsum. In normalen Zeiten müssen Grundnahrungsmittel (die sich nicht durch eine besondere Qualität auszeichnen) vor allem billig sein. In Krisenzeiten nach Lebensmittelskandalen müssen Lebensmittel vor allem sicher sein, ohne dass die Verbraucher bereit wären, eine besonders sichere und nachhaltige Qualität angemessen zu bezahlen. Dieser Zwiespalt prägt das Verbraucherverhalten. Er ist auch zu einem guten Teil das Problem für das gegenwärtige Dilemma der Bundeskanzlerin. Es ist nur stärker ausgeprägt durch eine selbstbewusste Atomlobby, die ihre Argumente in den Ring wirft und durch EU-Entscheidungen ohnehin empfindlich getroffen wurde.

In dieser Situation wird es die Bundeskanzlerin niemandem Recht machen können. Sie ihre Haltung zur Atomenergie neu beschreiben und dabei einen dritten Weg suchen. Der verläuft in der Mitte. Er basiert auf maximaler Risikosensibilität, versucht aber die Menschen mitzunehmen und aufzuklären über die Notwendigkeit eines risiko- und verantwortungsbewussten Lebensstils. Das wäre eine Strategie, die kurzfristig schwer umzusetzen ist, aber Aussicht auf langfristigen Erfolg hat. In der modernen Gesellschaft haben die Menschen in normalen Zeiten kein stark ausgeprägtes Bewusstsein für die Risiken und die negativen Konsequenzen ihres Lebensstils. Unser Verbraucherverhalten ist überwiegend nicht auf Nachhaltigkeit ausgerichtet. Die Politik muss versuchen, hier einen Bewusstseinswandel und einen Verhaltenswandel herbeizuführen. Das ist nur langfristig möglich und erfordert einen langen Atem (wie man an anderen Beispielen, etwa dem schwierigen Kampf gegen Übergewicht in der Gesellschaft, sieht).

Wenn die Bundeskanzlerin ihre Glaubwürdigkeit unter Beweis stellen will, kämpft sie jetzt für ein Umdenken. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt. Das wäre eine Strategie, die der Gesellschaft über die aktuelle Atomdiskussion hinaus helfen würde. Was setzt diese Strategie voraus?

  1. Die Bundeskanzlerin muss der Diskussion um einen nachhaltigen, zukunftsorientierten Lebensstil und dessen Konsequenzen Priorität einräumen. Nachhaltigkeit muss das Leitmotiv deutscher Politik werden und die gesellschaftliche Diskussion bestimmen.
  2. Die Bundeskanzlerin muss dabei die Aspekte des Glaubwürdigkeitsprinzips berücksichtigen (siehe Manifest) und vor allem Mut und Ehrlichkeit beweisen und die unterschiedlichen Interessen klar aufzeigen. Merke: Interessen sind stets nur dann eine politische oder kommunikative Gefahr, wenn sie nicht transparent dargelegt werden.
  3. Die Bundeskanzlerin muss in ihren Entscheidungen konsequent sein und im Interesse eines langfristigen glaubwürdigen Standings auch möglichen kurzfristigen Gegenwind in Kauf nehmen. Sie muss eine umfassende Kampagne für Nachhaltigkeit starten.

Dies würde ihre Souveränität stärken und ihrem Auftrag gerecht werden. Sie hätte damit auch die Wirtschaft auf ihrer Seite. Von Unternehmen wird nämlich schon lange verlangt, dass sie ihrer Corporate Responsibility gerecht werden und stets ökonomische und ökologische Aspekte im Einklang halten. Oft wird ihnen zu Unrecht der Primat des Gewinn vorgehalten und Unglaubwürdigkeit unterstellt, wenn das Verhältnis von Gewinn und Moral nicht nachvollziehbar ausbalanciert ist. Die „Corporate Responsibility“ der Politik aber besteht maßgeblich in einem verantwortungsbewussten und vorausschauenden Management der Risiken für die Gesellschaft. Dies kann die Bundeskanzlerin demonstrieren.