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Hinweis: Eine aktualisierte Version dieses Beitrags wurde ins Buch „Glaubwürdig kommunizieren“ von Wolfgang Griepentrog aufgenommen.

Vor wenigen Tagen hat das Netzwerk Recherche die großen deutschen Energiekonzerne und Kernkraftwerksbetreiber mit dem Kritikpreis „Verschlossene Auster“ ausgezeichnet. Gewöhnlich wird dieser Preis an „Kommunikationsverhinderer“ verliehen beziehungsweise an solche, die die Jury dafür hält. Diesmal wurde „falsche Kommunikation“ ausgezeichnet, eine Kommunikation, die in die Irre führe. Vielleicht ist der Zeitpunkt der Auszeichnung zu früh gewählt, vielleicht ist er auch genau richtig, denn gerade jetzt werden auf den Druck des öffentlichen Risikobewusstseins hin die Weichen für die Zukunft der Branche von der Politik neu gestellt. Dieser Prozess (der einer langfristigen Orientierung in der Energiepolitik) ist noch längst nicht abgeschlossen – politische Beschlüsse hin oder her. Vielleicht beginnt er jetzt überhaupt erst richtig. Und dabei geht es gar nicht nur um Energie, sondern auch um die Bedeutung öffentlicher Kommunikation, um Macht und Einfluss von Deutung in existenziellen gesellschaftlichen Themen. Und um Glaubwürdigkeit.

Der Ruf nach Glaubwürdigkeit im öffentlichen Auftritt der wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Eliten und auch der Medien ertönt in diesen Tagen besonders laut. Verständlich – wo immer mehr statt spürbar verantwortungsbewussten Handelns das kurzfristige Kalkül eigener Interessen in den Vordergrund tritt, gerät eine Gesellschaft leicht aus den Fugen. Glaubwürdigkeit schafft Berechenbarkeit und Orientierung. Sie setzt aber auch Ansprüche – an den Kommunizierenden ebenso wie an das Publikum: Vor allem ganz grundsätzlich den Anspruch, den Blick nicht zu verengen und öffentliche Kommunikation fair und möglichst aus verschiedenen Perspektiven zu beurteilen. Das gilt für die Arbeit der Medien und für die Botschaften der Kommunikationsprofis aus Unternehmen und Organisationen gleichermaßen. Den Blick nicht zu verengen, ist auch die Mission der Initiative „Das Glaubwürdigkeitsprinzip“, die sich für gute und glaubwürdige professionelle Kommunikation engagiert. Auch bei der „Verschlossenen Auster“ lohnt es sich, den Blick nicht zu verengen und zu prüfen, wo genau zwischen „Verschlossener Auster“ und dem Kommunikationsauftritt der Atomkonzerne der Anspruch glaubwürdiger Kommunikation verloren gegangen ist.

Tief und unversöhnlich ist der Graben zwischen den beiden großen Disziplinen der professionellen Kommunikation: Journalismus und PR. Zumindest scheint es so, wenn man den Stimmen selbstbewusster und zur Distanz mahnender Journalisten lauscht, die der verwandten Zunft der Public Relations mit Skepsis und ihrem Einfluss mit äußerstem Misstrauen gegenüberstehen. Nun gut, Evolution strebt nicht nach Vereinheitlichung, sondern nach Differenzierung. Das würde die Sehnsucht nach Abgrenzung der um die Macht der Deutung und Sinnstiftung konkurrierenden Berufsgruppen – jenseits ihrer unbestritten wichtigen Rollenunterschiede – erklären. Zum Glück ist der Graben im Praxisalltag zwischen Journalisten und Kommunikationsmanagern dann doch nicht so tief. Gleichwohl offenbart der Disput ein schwieriges Verhältnis und auch Schwierigkeiten in der eigenen Standortbestimmung: Die Professionen der Kommunikation suchen und verteidigen ihren Platz in der Gesellschaft – in einer immer unüberschaubareren global vernetzten Gesellschaft, die auf Kommunikation nicht verzichten kann.

Worum geht es dabei? Sicher nicht darum, gesellschaftliche Koordinaten zu verschieben. Wir brauchen einen freien, rundum unabhängigen, engagierten Journalismus. Und wir brauchen ebenfalls gutes Kommunikationsmanagement und engagierte Public Relations in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Auf Verständnis, Akzeptanz und vertrauensvolle Beziehungen (etwa zwischen Unternehmen und ihren Stakeholdern) sollte dies ausgerichtet sein. Dass sich die Spielregeln der Kommunikationsgesellschaft dramatisch verändert haben, dürfte jedem bewusst sein. Dass Journalismus und PR gemeinsam den neuen Spielregeln und dem immer stärkeren gesellschaftlichen Wunsch nach Orientierung, Transparenz, Berechenbarkeit gerecht werden, ist aber nicht der Fall. Das spiegelt sich auch bei der Prämiierung der „Verschlossenen Auster 2011“ wider.

Vorausgeschickt sei: Es ist schade, dass diese Preisverleihung nur wenig Nachhall findet. Sie bietet Stoff für eine breite und notwendige gesellschaftliche Diskussion über Journalismus, Public Relations und über die Bedeutung gesellschaftlicher Einflussnahme durch Kommunikation. Das Netzwerk Recherche hat als Mahner und Impulsgeber für einen substanziell guten, kritischen Journalismus ein wichtige Funktion. Die Standards mögen in der Praxis manchen überfordern. Genau solch eine Institution macht aber den Wert guter Kommunikation bewusst; ich würde mir auch für den Public Relations Bereich solche eine Institution wünschen. Aber sie vertieft den Graben zwischen Journalismus und PR, obwohl die Vertreter beider Seiten in einem Boot sitzen. Ist die Prämiierung der Atomlobby berechtigt? Schauen wir genauer hin.

Heribert Prantl hat am 2. Juli 2011 eine deftige Laudatio gehalten. Er findet klare Worte für das Kommunikationsmanagement der Energieriesen, die mit genauem Kalkül und umfangreichen Aktivitäten Einfluss nehmen auf die Meinung und das Verhalten von Entscheidern und auf die öffentliche Meinung. Zitat: „Wofür werden die Atomkonzerne also ausgezeichnet? Sie werden ausgezeichnet für gefährlich einseitige, marktmächtige Information, sie werden ausgezeichnet für die Verharmlosung von Gefahren, für exzessiven Lobbyismus.“ Ist diese Wertung gerechtfertigt? Ist das Bild überhaupt angemessen beschrieben? Kann man einem Wirtschaftsunternehmen „einseitige, marktmächtige Information“ vorwerfen? Hat das Kommunikationsmanagement der Energieriesen seinen Auftrag verfehlt oder wird es hier zum Symbol für eine PR-Mechanik gestempelt, die sich immer schwerer damit tut, Vertrauen aufzubauen und der Öffentlichkeit Sinn und Orientierung in der Energiedebatte zu vermitteln?

Seien wir ehrlich: Sowohl der Journalismus als auch die PR-Branche stecken in der Krise: Der Journalismus leidet unter wirtschaftlichem Druck, ausgedünnten Redaktionsstrukturen und dem teilweisen Verlust seiner Deutungsmacht (durch neue direkte Formen der Kommunikation). Die PR leidet unter dem, was der Preis beschreibt: mangelnde Akzeptanz in der Breite der Bevölkerung, fehlende Transparenz und Werteorientierung und teilweise auch fehlende Professionalität. Es fällt Unternehmen immer schwerer, öffentlich Gehör zu finden und mit den eigenen Anliegen wahrgenommen zu werden. Oft wird die Glaubwürdigkeit eines Berufszweigs auf die Probe gestellt, wenn eine Branche unter Druck steht. Beide Berufszweige der professionellen Kommunikation, Journalismus und PR, stehen unter Druck. Auch unter dem Druck, ihre Glaubwürdigkeit im Praxisalltag täglich neu beweisen zu müssen. Das ist bei der fairen Bewertung der Prämiierung und der so Ausgezeichneten zu berücksichtigen. Dass ein ehrbarer, kritischer Journalismus wirtschaftlichem Druck nicht nachgeben darf und weiterhin auf gute Recherche und verantwortungsbewusste Deutung setzen muss, ist eine Botschaft des Netzwerks Recherche. Dass dies oft als schwacher Ruf in der Wüste verhallt, ist ebenfalls bekannt. Bijan Peymani hat in seinem Interviewbeitrag zum Buch „Das Glaubwürdigkeitsprinzip“ eine unbequeme Wahrheit ausgesprochen: „Der deutsche Journalist ist zu faul für die Recherche. Er ist vielmehr von missionarischem Eifer getrieben. Ein Überzeugungstäter, der das Publikum für seine Sichtweise zu gewinnen hofft. Wer aber um jeden Preis überzeugen will, muss trivialisieren, boulevardisieren, manipulieren“ (S.309).

Beschrieben wird damit ein Problem des Journalismus insgesamt, auch wenn es viele gute Journalisten gibt, für die das nicht zutrifft. Der Druck zwingt zur Profilierung und führt nicht selten und besonders bei Themen und Vorfällen von großer gesellschaftlicher Relevanz zu einer besonders strengen und verengten Sicht. Es ist simpel, die PR großer Branchenplayer wegen ihrer Macht, ihrer Ausstattung und Gestaltungsmöglichkeiten zu kritisieren. Es ist schwerer, gut und umfassend zu argumentieren, warum heutzutage Größe und mediale Omnipräsenz auch eine größere ethische Verantwortung beinhaltet. Und es ist anspruchsvoll, dabei Meinungen und Gegenmeinungen zu Wort kommen zu lassen in einem großen gesellschaftlichen Dialog. Dies aber unterstreicht die gesellschaftliche Leitfunktion des guten Journalismus. David war Goliath durch Einsatz seiner Kompetenz überlegen. Dass er bloss dessen Größe und Übermacht kritisiert hätte, ist nicht bekannt.

Aus meiner Sicht heißt das: Journalisten müssen ihren gesellschaftlichen Leistungsbeitrag durch gutes Recherchieren, Darstellen, Argumentieren und Abwägen erfüllen, aber auch Rolle und Auftrag der anderen (der beschriebenen) Akteure akzeptieren und nicht politisches Lagerdenken beflügeln. Der Auftrag eines guten und erfolgreichen PR-Managements liegt nun einmal darin, Botschaften und Interessen zu vermitteln, Zusammenhänge darzustellen aus der Perspektive des Unternehmens. Dies bedeutet keineswegs, dass andere Perspektiven, nämlich die Interessen der Gesellschaft insgesamt, ausgeblendet werden.

Ganz im Gegenteil. Gute PR bedeutet, die Anliegen, Bedürfnisse und Erwartungen ALLER Zielgruppen zu kennen und ihnen Rechnung zu tragen. Gute Beziehungen kommen nur dann zustande, wenn diese Erwartungen erfüllt werden. Glaubwürdige PR setzt dabei einen weiten Rundumblick voraus. Dass sie die Perspektive der Unternehmensinteressen einnimmt, ist nicht anrüchig, sondern legitim und notwendig. Dass PR-Manager dazu Themenstrategien und Kommunikationskonzepte erarbeiten und die verschiedenen Akteure des gesellschaftlichen Diskurses mit ihren Erwartungen und Interessen genau durchleuchten, Szenarien abwägen und Kommunikation gut geplant darauf abstimmen, ist selbstverständlich. Es ist das Handwerk. Dass man sich hierbei von einer PR-Agentur unterstützen lässt, ist ebenfalls klar. Es liegt mir fern, für die in diesem Zusammenhang kritisierte Agentur Partei zu ergreifen, aber wir sollten hier die Realität nicht ausblenden und nicht die Regeln effizienten PR-Managements in Frage stellen.

Entscheidend ist am Ende, dass Unternehmensinteressen und gesellschaftliche Belange im Einklang stehen. Deswegen kann und muss man zwar über verantwortungsbewusste Unternehmensstrategien oder über Risiken und Akzeptanz der Geschäftstätigkeit streiten, nicht aber darüber, dass die eigenen Interessen im Fokus von PR und Kommunikation der Energieunternehmen stehen.

Der Vorwurf einer einseitigen, marktmächtige Information läuft daher ins Leere. Wenn Marktmacht überhaupt ein Kriterium darstellt, dann müsste diese Mahnung auch an die Adresse der Medien gerichtet sein. Neben allem journalistischen Anspruch ist das Mediengeschäft ein Geschäft. Wir erleben zur Zeit in England, welch absurde Auswüchse ein ausschließlich profitorientiertes, wirklich global marktmächtiges Mediengeschäft entwickeln kann.

Auch den Vorwurf eines exzessiven Lobbyismus sehe ich differenzierter. Zunächst gilt generell: Politik muss den Rat und die Kompetenz der Wirtschaft suchen, eine volks- und wirtschaftsnahe Politik ist darauf angewiesen. Die unterschwellige oder laut unterstellte Gleichsetzung von Lobbyismus mit Korruption ist ungerechtfertigt, auch gegenüber der (mündigen) Politik. Auf welcher Grundlage politische Entscheidungen getroffen, werden, liegt stets in der Verantwortung der zuständigen Politiker. Es kommt allerdings ganz wesentlich darauf an, dass Politiker ihre Entscheidungen gut vermitteln und begründen. Hier liegt die zentrale Schwachstelle im politischen Betrieb und eine Ursache für den Vertrauens- und Glaubwürdigkeitsverlust der Politik in der Bevölkerung. Nicht nur die Rat Gebenden, sondern vor allem die Rat Suchenden und Rat Annehmenden müssen sich erklären. Im Rahmen der Initiative „Das Glaubwürdigkeitsprinzip“ haben wir das wiederholt angemahnt.

Wichtig ist aber auch: Lobbyarbeit sollte nicht im Verborgenen geschehen. Unternehmen müssen ihre Intentionen (vor allem in der politischen Lobbyarbeit) selbstbewusst und souverän offen legen. Auch mögliche Interessenkonflikte mit anderen Akteuren müssen offen und transparent dargestellt werden. Daher ist der bekennende Lobbyismus ein Element der Glaubwürdigkeit und ein Aspekt im Glaubwürdigkeitsprinzip, das sich am Vorbild des Ehrbaren Kaufmanns orientiert. „Der glaubwürdige Kommunikationsmanager vertritt seine Interessen aktiv und ist berechenbar für die Stakeholder.“ Das gilt auch und gerade dann, wenn seine Positionen nicht bei allen Stakeholdern konsensfähig sind. Bekennender, transparenter Lobbyismus macht Kommunikation glaubwürdig.

Drei von vier Prämiierungsgründen von Heribert Prantl möchte ich damit relativieren. Bleibt das vierte Argument: „Die Energiekonzerne verharmlosen Gefahren.“ Der Vorwurf wiegt schwer und ist nicht unbegründet. Vermutlich würde er allein zur Verleihung der „Verschlossenen Auster“ ausreichen.
Seit einiger Zeit gibt es in der PR-Branche einen sonderbaren Disput über Ehrlichkeit. Dabei ist eigentlich klar:

  1. PR muss ehrlich sein.
  2. Ehrliche PR darf wesentliche Informationen nicht vorenthalten. Dieser Ansicht folgt zwar nur ein kleiner Teil der PR-Manager und Pressesprecher (siehe die Studien „Profession Pressesprecher“). Ich denke aber, dass ein Umdenken hier notwendig ist und habe in rund 20-jähriger Berufspraxis kein überzeugendes Gegenargument entdeckt, das gezeigt hätte, wie man nachhaltigen Kommunikationserfolg ohne Ehrlichkeit erreicht.

Ehrliche, wahrhaftige Kommunikation verschleiert nichts, sondern vermittelt einen realistischen, angemessenen Eindruck. Der Maßstab für den PR-Erfolg liegt in der Wirkung, das heißt in der öffentlichen Wahrnehmung der PR-Botschaften. Deswegen sollte Kommunikation nicht auf Dauer einseitig sein, sondern gerade in der Energiedebatte ein vollständiges Bild aller Chancen und Risiken vermitteln. Je stärker sich ein Unternehmen gerade in kritischen Themenfeldern als Impulsgeber und Vordenker engagiert, Transparenz zeigt und einen umfassenden Dialog fördert, desto weniger muss es den Vorwurf von Einseitigkeit und Manipulation zum gesellschaftlichen Nachteil fürchten. Es ist unverständlich, warum die Unternehmen der Energiewirtschaft wenig gegen die öffentliche Wahrnehmung tun, sie würden nur taktisch agieren, und eher als Atomkonzerne in der Buhmann-Ecke verharren, anstatt als Agenda Setter von Zukunftsthemen rund um die Energieversorgung die Debatte zu bestimmen.

Streitkultur statt Konsenskultur: Viele große gesellschaftliche Fragen sind nicht gelöst

All dies ist aber nicht das eigentliche Problem. Der Kern des Problems liegt vielmehr darin, dass es bei den großen gesellschaftlichen Fragen unserer Zeit keinen Konsens gibt. Stattdessen verharren die jeweiligen (politisierten) Lager auf ihren Positionen und den Ausschlag für Strategieänderungen und Neuorientierungen geben wechselnde politische Mehrheiten, nicht jedoch der gemeinsam gefundene breite Konsens. Wir (als Gesellschaft) haben die Frage nicht entschieden, welche Art der Energieversorgung wir eigentlich haben wollen. Gewiss, es gab seit jeher Meinungen und Gegenmeinungen, Atomkraftgegner und –befürworter und jetzt scheint vordergründig die Sache entschieden. Doch eine echte große, substanzielle und ehrliche Debatte über eine verantwortungsbewusste Energieversorgung, die man auch künftigen Generationen zumuten kann, die gab es bislang nicht. Jedenfalls nicht in ausreichendem Maß, nicht mit allen notwendigen Facetten und mit dem gesamtgesellschaftlichen Wunsch nach Konsens.

Man muss auch sagen: Abgesehen von der Panik nach dem japanischen Atomunglück interessieren sich die meisten Menschen nur bedingt für das Thema. Für die meisten ist entscheidend, dass Energie billig ist (nur wenn gerade ein Unglück passiert, muss Energie auch sicher sein, dann kann man mit der Botschaft sogar Wahlen gewinnen). Wir kennen diese Denkmechanik auch von Lebensmitteln: Die müssen in Deutschland vor allem preiswert sein, nur wenn gerade mal wieder ein Food-Skandal die Schlagzeilen beherrscht, müssen Lebensmittel sicher sein. Und was „sicher“ ist, definieren weder Wissenschaft noch Aufsichtsbehörden, sondern das öffentliche Bewusstsein gefühlter Risiken. Auch weil kaum jemand die Wertschöpfungsprozesse kennt und versteht.
Wert und Wertschöpfungskette in der Energiewirtschaft sind ebenfalls nur schwer zu begreifen. Die Atomdiskussion lenkt dabei von der Bedeutung anderer Geschäftsfelder der Energiewirtschaft ab. Deswegen ist es schlecht, dass unternehmenspolitische Strategien und Winkelzüge das Image und die Debatte beherrschen. Daran ändern übrigens auch millionenschwere Imagekampagnen nichts, deren Budgets wahrlich besser verwendet werden könnten. All das erforderte zwingend einen neuen, engagierten verantwortungsbewussten Auftritt der großen Energiekonzerne – ein PR-Auftritt, der Offenheit und Transparenz im kritischen Stakeholderdialog beweist und der Verantwortungsbewusstsein demonstriert, indem er eine gesellschaftliche Konsensdebatte antreibt. Gefahren nicht zu verharmlosen, sondern Risiken bewusst zu machen und den ehrlichen gesellschaftlichen Dialog darüber zu fördern, was wir alle als Risiko akzeptieren wollen oder nicht: Das muss der Auftrag sein. In diesem Punkt ist die Kritik, ist der Preis berechtigt.

Jedes Unternehmen steht selbst in der Verantwortung, die Akzeptanz und die Zukunftsperspektiven seiner Geschäftstätigkeit zu prüfen. Das gilt selbstverständlich auch für die Energiewirtschaft, die einen gesellschaftlichen Versorgungsauftrag erfüllt. Jedes Unternehmen hat das Recht und die Pflicht, Wert und Nutzen seiner Leistungen effizient zu kommunizieren. Diese Kommunikation orientiert sich dabei selbstverständlich an den Interessen und Strategien des Unternehmens und sie muss den unternehmerischen Auftrag vermitteln und ihn unterstützen. Das stellt keine Bevormundung und keine zu beanstandende Beeinflussung dar, solange die Kommunikation souverän und transparent erfolgt. Sie muss aber andere Ansichten und Wertungen zulassen, sie muss die kritische Meinungsbildung fördern, sie muss auch dazu beitragen, dass eine gesellschaftliche Debatte mit Augenmaß geführt wird. Das erreicht man, indem man mit gutem Beispiel voran geht und dafür sorgt, dass nicht nur unternehmenspolitische Positionen, sondern die richtigen Themen insgesamt auf die öffentliche Agenda gelangen. Aus meiner Sicht ist das schlicht eine Frage der Professionalität von PR.

PR muss also dem Umstand Rechnung tragen, dass wichtige gesellschaftliche Fragen nicht geklärt sind und dass gesellschaftlicher Wandel daher nur von einem Teil der Bevölkerung mitgetragen wird. Das beeinflusst Wirkung und Akzeptanz von PR – und jeder, der für professionelle Kommunikation Verantwortung trägt, kann das wissen. Das gilt nicht nur für die Energiepolitik. Es gilt auch für die Frage, welchen Anspruch wir an Lebensmittel und den Umgang mit Lebensmittel stellen, welchen Anspruch wir an das Leistungsangebot von Banken haben, welche Art von Mobilität wir wollen und zu welchem Preis, welche Gesundheitsversorgung und wichtig ist und zu welchem Preis und so weiter. Auch wichtige ethische Fragen sind nicht geklärt, zum Beispiel die Frage, ob es okay ist, wenn Spitzenpolitiker nach ihrem politischen Leben als Berater und Lobbyisten Einfluss nehmen. Sollte die Gesellschaft im Spannungsfeld zwischen legal und legitim ethische Standards setzen?

In all diesen Fragen müssen die Akteure professioneller Kommunikation, auf Medien- wie auf PR-Manager- und Beraterseiteseite, Flagge zeigen, Position beziehen und dabei den kritischen gesellschaftlichen Dialog fördern. Nicht gegeneinander, sondern im Schulterschluss werden sie ihrem Auftrag gerecht – als Vermittler, Erklärer, Deuter, Moderator, Sinn- und Orientierungsstifter.

Alle Kommunikationsprofis sitzen im selben Boot. Schütten wir den Graben zwischen Journalismus und PR zu, damit der Wert guter Kommunikation sichtbar wird

Berufliches Klischeedenken und eingefahrene Perspektiven verbauen manchmal den Blick über den Tellerrand. Wir haben alle ein Interesse daran, dass sowohl der Wert guter Recherche und guter journalistischer Arbeit als auch der Wert guter, Vertrauen schaffender PR-Arbeit besser erkannt und gewürdigt wird. Es geht um den Wertbeitrag guter Kommunikation insgesamt – oder anders gesagt: um mehr Kommunikationskompetenz in der Gesellschaft, die den sozialen Zusammenhalt nachweislich stärken kann.

Daher sollten wir neben unserem jeweiligen journalistischen oder unternehmerischen Auftrag unsere übergeordnete Mission als professionelle Kommunikatoren im Blick behalten. Rollendenken ist gut und wichtig – und wenn man journalistische oder PR-Exzellenz fördern will, gehört dazu auch eine klare Identität als Medienarbeiter oder Kommunikationsmanager. Und trotzdem wünsche ich mir, dass der Graben zwischen Journalismus und PR nicht künstlich vertieft, sondern möglichst zugeschüttet wird. Dazu gehört auch, der Mythenbildung in manchen Bereichen Einhalt zu gebieten. Dem Mythos vom manipulierenden, marktmächtigen PR-Manager etwa, der die öffentliche Meinung skrupellos manipuliert. Oder auch den Mythos vom Spin-Doktor, den es eigentlich nicht gibt (es gibt nur gute oder schlechte PR-Berater mit besserer oder schlechterer Vernetzung).

Auf welcher Seite man steht, entscheidet der Lebensweg. Ich zum Beispiel hätte als Sprach- und Kommunikationswissenschaftler mit Leidenschaft für gute Texte auch eine journalistische Laufbahn einschlagen können. Ich kenne etliche Grenzgänger, die kein Problem mit einem Rollenwechsel oder einer Rollenparallelität haben. Ihre Mission heißt schlicht: gute Kommunikation!

Fazit und Appell

  1. Aufruf an Journalismus und PR gemensam: Lasst uns die Diskussion verändern! Lasst uns die Koordinaten zwischen guter und schlechter Kommunikation nicht nach Lagern aufteilen, sondern innerhalb der Lager kritischer gut und schlecht unterscheiden.
  2. Aufruf an die PR-Manager: PR muss gleichzeitig selbstkritischer und selbstbewusster auftreten und (je nach Metier) den gesellschaftlichen Dialog beflügeln.
  3. Lasst uns den gemeinsamen Auftrag als Vermittler und Deuter verantwortungsbewusst wahrnehmen, primär als Kommunikationsprofis und erst sekundär als Journalist oder PR-Manager.

Dann wird professionelle Kommunikation den Platz in der Gesellschaft erlangen, der ihrem Wertbeitrag und ihrer Bedeutung angemessen ist.