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Keine Branche ist so sehr auf eine gute Reputation und das Vertrauen der Menschen angewiesen wie die Ernährungswirtschaft. Dabei ist ihr Bild in der Öffentlichkeit verzerrt: Nicht der Wert von Lebensmitteln, nicht die Kompetenz und Verantwortung dieser bedeutenden Branche stehen im Fokus, sondern zahllose Krisen, Skandale und Vorwürfe.

Was macht Lebensmittelunternehmen in Krisen widerstandsfähiger? Wie können sie konkret Glaubwürdigkeit und Vertrauen aufbauen? Wie werden aus Getriebenen, die in Krisen regelmäßig zum Spielball anderer werden, selbstbewusste Akteure? Welche Voraussetzungen müssen sie erfüllen, um eine gute Reputation zu erreichen?

Diese Fragen waren Gegenstand des Themenforums „Kommunikation in der Ernährungswirtschaft — Nach der Krise ist vor der Krise“, das am 3. Mai 2012 von NieKE, dem Niedersächsischen Kompetenzzentrum Ernährungswirtschaft veranstaltet wurde.

Mein Vortrag befasste sich mit der Frage, wie Lebensmittelunternehmen konkret Vertrauen und Reputation aufbauen. Wie können sie eine starke Vertrauensbasis in der Öffentlichkeit und bei Stakeholdern schaffen, um zu vermeiden, dass Krisen zum Reputationsverlust führen? Wie können sie aktiv aus dem Schatten des von Skepsis und Misstrauen gezeichneten Branchenimages treten?

Die Kurzfassung dieses Vortrags mit ausgewählten Charts habe ich an zwei Orten zum Download bereitgestellt:

Es ist gut, dass die Unternehmen der Lebensmittelindustrie ihre Kommunikation und ihr Verhalten in Krisensituationen zunehmend professionalisieren. Das trägt maßgeblich zu einer höheren Glaubwürdigkeit bei. Es ist eine erfreuliche Entwicklung, die auch durch das Engagement und die immer effizientere Zusammenarbeit mit den Aufsichtsbehörden unterstützt wird.

Allerdings muss sich die Branche noch wesentlich intensiver mit der Frage befassen, wie sie sich im Vorfeld gegen die Auswirkungen von Krisen und Skandalen, insbesondere gegen den Reputationsverlust und seine weitreichenden Folgen, besser rüsten kann. Sie muss ihr Mindset ändern, weg von der Re-Aktion, hin zum aktiven, initiativen Aufbau eines nachhaltig guten Rufs und (auch in Krisen) belastbarer, vertrauensvoller Stakeholderbeziehungen. Glaubwürdigkeit entsteht vor der Krise und bewährt sich in der Krise.

Die niedersächsische Lebensmittelwirtschaft ist ohne Zweifel bundesweit der Motor und Impulsgeber der Branche. Das Themenforum ist Initialzündung für die Unternehmen, um aktiv zu werden und den Aufbau sowie die Stärkung ihrer glaubwürdigen Reputation als strategische Herausforderung zu begreifen. Es ist ein Impuls, der konsequent weiterverfolgt werden soll.

Mein Vortrag umfasst die folgenden Aspekte:

  • Lebensmittelunternehmen müssen sich von Mythen und Missverständnissen lösen, die den Aufbau von Vertrauen und Reputation grundsätzlich behindern. Vertrauen entsteht nicht von selbst (nicht allein durch verantwortungsbewusstes unternehmerisches Handeln), sondern durch glaubwürdige Kommunikation. Es reicht nicht, sich hinter guten Produkten zu „verstecken“, Ethik und Verantwortung in der Prozesskette werden immer mehr zum vertrauen- und kaufentscheidenden Faktor (The company behind the product“). Die Aufgabe ist unverzichtbar.
  • Es ist wichtig, dass die Unternehmen der Branche verstehen, wie Vertrauen überhaupt zustande kommt und was es bewirkt. Der Aufbau von Vertrauen, Glaubwürdigkeit und guter Reputation ist nämlich eine unmittelbare Antwort auf die vielfältigen Herausforderungen, mit denen die Ernährungswirtschaft heute konfrontiert ist. Er ist ein wirksames Gegenmittel gegen Irritationen, Vermutungen, Gerüchten, Unterstellungen, Ablehnung, Skepsis, Distanz und Unsicherheit — also gegen die negativen Begleitfaktoren von Krisen.
  • Welche Voraussetzungen müssen Lebensmittelunternehmen erfüllen, um systematisch Vertrauen aufzubauen? Es handelt sich um eine Aufgabe, die keine Beliebigkeit verträgt, sondern systematisch geplant und umgesetzt werden muss. Hierzu sind aus meiner Sicht drei Dinge hilfreich:
    1. die konsequente Orientierung an den Werten des Glaubwürdigkeitsprinzips und damit eine glaubwürdige Haltung als Grundlage aller Aktivitäten,
    2. der Aufbau eines aktiven, Sinn stiftenden Stakeholderdialogs mit relevanten Themen, die Mehrwert bieten (in der Realität dominieren heute nur die mehr oder weniger hohlen Marketingbotschaften) und
    3. die Infrastruktur bzw. Rahmenbedingungen innerhalb der Unternehmen, um einen glaubwürdigen Auftritt überhaupt zu ermöglichen.

Ehrlichkeit, Transparenz und Authentizität sollten als Prinzipien ganz oben stehen:

Ehrlichkeit: Wenn der Lebensmittelwirtschaft eines vorgehalten wird, dann ist es Unehrlichkeit. Die perfekte Marketingmaschinerie, die inflationär mit märchenhaften Stories, sachlich unpassenden Klischees und Assoziationen arbeitet, führt zum Verdruss und zum Vertrauensverlust, je mehr der aufgeklärte Verbraucher hinter die Kulissen schaut. Wenn Produktqualitäten und Wertschöpfungsketten rein gar nichts mit dem zu tun haben, was kommuniziert wird, dann ist das gefährlich. Ehrlichkeit wird vorausgesetzt, weil der Kauf und Verzehr von Nahrungsmitteln Vertrauenssache ist.

Die bekannte (und immer wieder bevorzugte) Salamitaktik der Unternehmen in Krisen ist eine weitere schwere Belastung für den Anspruch der Ehrlichkeit. Auch Unverständlichkeit ist schädlich, sie gilt als unehrlich und erweckt Misstrauen. Es gehört zur der Herausforderung der Lebensmittelunternehmen, so zu kommunizieren (auf Unternehmensebene, aber auch im Marketing, am POS, auf der Verpackung), dass die Menschen es verstehen.

Klar ist, dass es den Unternehmen nicht immer leicht gemacht wird, das Prinzip der Ehrlichkeit konsequent zu berücksichtigen. Professionelle Kampagnen, Unterstellungen oder bewusst irreführende Darstellungen durch NGOs oder Medien haben den fairen Austausch und die ehrliche Kommunikation der Lebensmittelunternehmen erschwert. Da diese Akteure eher mit Emotionen als mit Fakten arbeiten, reicht eine wahrheitsgemäße Gegendarstellung nicht aus, um das Vertrauen der Öffentlichkeit zu sichern.

Ehrlichkeit erfordert in solchen Situationen oftmals besonderen Mut.

Transparenz: Kaum ein Begriff wird stärker missbraucht als Transparenz. Er ist zum Kampfbegriff und zur Worthülse verkommen. Dabei ist Transparenz für den Aufbau von Vertrauen und Reputation elementar. Allerdings bedeutet sie nicht die vollständige Ausbreitung sämtlicher verfügbarer Informationen in der Öffentlichkeit. Dies ist praktisch kaum zu erreichen und würde die Öffentlichkeit auch überfordern. Transparenz bedeutet, der Öffentlichkeit eine realistische Einschätzung eines Sachverhalts („Durch-Blick“) zu ermöglichen. Nicht Informationen ausbreiten, sondern gut aufbereiten, lautet die Herausforderung.

Authentizität: Dieser Leitbegriff und Anspruch des Marketings (das sich genau damit schwer tut) ist ein wichtiges Prinzip in einer Interessen gesteuerten Welt. Zum negativen Grundrauschen, unter dem die Branche leidet, gehört die unterschwellige Unterstellung, sie sei nicht dem Interesse des Verbraucherwohls verpflichtet. Lebensmittelunternehmen sollten sich in ihrem Auftritt daher nicht zu weit von der Realität ihres Metiers entfernen.

Insgesamt sind die 10 Grundsätze des Glaubwürdigkeitsprinzips eine verbindliche Anforderung und eine gute Richtschnur beim Bemühen um einen Vertrauen schaffenden, glaubwürdigen Auftritt.

Die Frage, wie man im Sinne des Vertrauensaufbaus einen effizienten Dialog mit der Öffentlichkeit bzw. den Stakeholdern entwickelt, war ein Schwerpunkt des Vortrags und sollte in der Unternehmenspraxis eine besondere Aufmerksamkeit erfahren. Das planvolle, systematische Vorgehen in vier Schritten ist erfolgsentscheidend und wird in der Relaität oft vernachlässigt.

  • Die Klarheit über die Chancen/Treiber, mit denen aktiv die Reputation gefördert werden kann, die genaue Kenntnis aller Reputationsrisiken und die permanente Beobachtung der Stakeholdererwartungen bilden die Basis effizienter Kommunikation, eines guten Dialogs und erfolgreichen Managements insgesamt. Nur wer diese Faktoren im Blick behält und berücksichtigt (das heißt: ernst nimmt), kann die strategisch wichtigen Themen und Inhalte identifizieren.
  • Lebensmittelunternehmen haben kein generelles Defizit an Kommunikation. Sie haben aber (im Vergleich zu anderen Branchen) eine Schwäche in der systematischen, professionell geplanten Aufbereitung und Umsetzung von Themen. Die größte Schwäche besteht heute darin, dass die wirklich wichtigen, reputationsrelevanten Themen oft nicht konsequent durchdacht und erarbeitet werden. Fragen bleiben offen und interessante Aspekte werden nicht beleuchtet. Zusammenhänge bleiben unklar. Es werden auch nicht immer optimale Kommunikationswege gewählt. Deswegen gilt als zweiter Schritt: Noch bevor Kommunikationsmaßnahmen umgesetzt werden, müssen die Themen, Inhalte, Kernbotschaften etc. systematisch ausgearbeitet werden – eine Banalität, aber leider nicht Realität in den Unternehmen. Unausgegorene Kommunikation schafft kein Vertrauen, im Gegenteil. Entscheidend ist in dieser Phase, Inhalte und Botschaften zu einer interessanten, dialogfähigen Story zu machen (gut gegliedert und mit erkennbarem roten Faden). Ein besonders wirkungsvolles Instrument ist hierbei das Storytelling (dazu gibt es aus der Lebensmittelwirtschaft gute Beispiele).
  • Auch die Wahl der richtigen Mittel und Kanäle entscheidet über einen wirkungsvollen und glaubwürdigen Auftritt. Was nützt eine Facebook-Fanpage? (Antwort: weniger als man glaubt) Was nützt ein Blog? (Viel, wenn das Themenspektrum stimmt und er redaktionell gut betreut ist). Es ist kein Geheimnis, dass es nicht die besonders spektakulären PR-Maßnahmen, sondern die klassischen, gut gemachten Kommunikationstools sind, die die Stakeholder beeindrucken.
  • Und schließlich der vierte Schritt: die Erfolgsmessung. Man kann die Wirkung und Effizienz des Dialogs und der Kommunikation messen. Man kann Reputation messen. Man kann auch einschätzen, ob und wie weit man das Vertrauen der Stakeholder und der Öffentlichkeit geniest. Und was messbar ist, ist auch optimierbar. Ein guter Ruf lebt von der kontinuierlichen Belebung und Weiterentwicklung.

Welche Bedeutung schließlich auch die richtige Infrastruktur in den Unternehmen für den Aufbau von Vertrauen und Glaubwürdigkeit hat, wird in vielen Unternehmen der Ernährungswirtschaft unterschätzt. Die Koordinaten sind in der Kurzfassung des Vortrags skizziert. (z.B. klare Organisations- und Ablaufprozesse sowie Zuständigkeiten, der 360°-Blick auf alle Vorgänge im Unternehmen und alle Erwartungen und Ängste der Öffentlichkeit, die notwendigen personellen und finanziellen Ressourcen).

Die Unternehmen der Ernährungswirtschaft sollten jeweils ihr spezifisches Programm für den Vertrauensaufbau und die Krisenvorsorge entwickeln. Ein Fahrplan muss her, um Beliebigkeit zu vermeiden und stattdessen systematisch und planvoll vorzugehen. Empfehlungen und Anregungen finden sich nicht nur in dem genannten Vortrag, sondern auch in etlichen Beiträgen rund um das Glaubwürdigkeitsprinzip. Der Aufwand ist zu leisten und durchaus nicht so umfangreich, wie man glauben könnte. Auf jeden Fall lohnt er sich, damit Lebensmittelunternehmen der nächsten Krise (die garantiert kommt) gelassen entgegenblicken können.

Übrigens: Der Aufbau von Vertrauen und Reputation ist nichts, was man an eine Agentur oder einen (halben) Mitarbeiter delegieren kann. Es ist ein persönlicher, unternehmerischer Auftrag, den die verantwortlichen Manager selbst akzeptieren müssen.