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Medien nutzen ihre Deutungshoheit und ihre meinungsbildende Macht nicht nur über Inhalte, sondern auch über die Bildsprache. Die Wirkung ist subtil und wird oft unterschätzt. Gewiss, es gibt Medien, die fehlende Botschaften mit emotional reißerischen Bildern kompensieren. Von denen soll hier nicht die Rede sein. Und das betrachtete Medium läuft gewiss nicht Gefahr, dazuzugehören. Vielmehr interessiert mich hier die kleine, feine Weichenstellung – die scheinbar harmlose Zusammenstellung an sich unverdächtiger Bilder, die eine Aussage beinhalten kann.

Auf dem Titelbild der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung „Die Zeit“ (Nr. 24 vom 9. Juni 2011) prangt das Konterfei unseres ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler und daneben das der prozessgeplagten Medienfigur Jörg Kachelmann. Dazu die Headline „Die Angriffe waren ungeheuerlich“, die man getrost auf beide beziehen kann. Links – symbolisch – der schwere Weg eines feinsinnigen, von ethischen/moralischen Ansprüchen und Sorge getriebenen Ex-Staatsoberhaupts, rechts – symbolisch – der schwere Weg eines ganz und gar nicht tugendsamen, verhedderten Lebemanns, der in einer Linie mit Strauss-Kahn die Diskussion über männlichen Willkürwahn abgehobener Eliten beflügelt. Welche Botschaft steckt dahinter, beide Personen visuell auf eine Stufe zu stellen in herausgehobener Position auf dem Titel? Beim Lesen der Beiträge hatte ich gehofft, dass die Titelgestaltung als Klammer mit übergeordneter Aussage erkennbar wird. Dieser Sinn hat sich mir nicht erschlossen. Und so bleibt die Frage: Welche Wirkung ruft dieser Titel beim Leser hervor? Ist dies nicht sehr subtil eine unbotmäßige nachträgliche Relativierung der Person des Bundespräsidenten? Darf das sein? Was hat sich Giovanni di Lorenzo dabei gedacht?

Welche Deutung könnte denn beim Leser haften bleiben? Zum Beispiel diese: „Ich sehe auf dem Titel eines der seriösesten Leitmagazine Köhler und Kachelmann. Offenbar sind beide wichtig in der Gesellschaft (Gegenfrage: Sind die Ereignisse um Jörg Kachelmann wirklich wichtig für uns? Hat unsere Gesellschaft keine anderen Probleme, als sich den Kopf zu zerbrechen, ob ein bekannter Schwerenöter die Schwelle zur Kriminalität überschritten hat? Das kann man auch anders sehen – gewiss).“ Relevant, so meinen selbst viele aufgeklärte Bürger, ist, was in der Zeitung steht. Noch dazu ganz vorne. Auch Bilder werden interpretiert, nicht nur inhaltlich und emotional. Wo welches Bild in welchem Zusammenhang mit anderen Bildern steht, das kann deutungsrelevant sein. Deswegen müssen Titelgestaltungen konkret und transparent in der Botschaft sein.
Die möglichen Deutungen in diesem Fall beunruhigen mich. Könnte es sein, dass hier die Bedeutung der moralisch-ethischen Leitfigur des ehemaligen Bundespräsidenten relativiert wird, indem sie in einen Zusammenhang gestellt wird mit einem anderen Akteur, der in seiner Lebensführung offenbar keine ethischen Konflikte kennt.

Oder ist es egal? Weil alles, was in den Medien vorkommt, uns gleichermaßen irgendwie wichtig oder unwichtig erscheint?

Was Horst Köhler in seiner Amtszeit über Respekt und Werteorientierung gesagt hat, ist im gesellschaftlichen Diskurs nie wirklich reflektiert worden. Das ist schade, denn eine engagierte Diskussion über Werte und Glaubwürdigkeit in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft ist dringend notwendig und nützt dem gesellschaftlichen Fortschritt. Dazu aber müssen auch die Medien Zeichen setzen – mit klaren und transparenten Botschaften, gerade im Titel. Es gibt immer wieder kleine Indizien, die klar machen, woran die Gesellschaft krankt: Wir hören nicht zu. Wir sind nicht aufmerksam. Wir unterscheiden nicht genügend wichtige Dinge von unwichtigen. So wird alles beliebig. So ist beispielsweise auch in einem großen wöchentlichen Nachrichtenmagazin alles wichtig, alles irgendwie dramatisch, alles besonders … – und damit letztlich alles unwichtig. Wohin es führen kann, wenn die Medien ihrem Auftrag nicht gerecht werden, Orientierung zu stiften, Zusammenhänge und Entwicklungen deutlich zu machen und Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden, das hat die letzte globale Finanz- und Wirtschaftskrise gezeigt. Viele haben sie vorhergesehen, aber niemand geahnt. Wo waren die Deuter, die im Klartext gesagt haben, was auf uns zukommt?

So sehr ich die ZEIT schätze, manchmal fällt es schwer, in Beiträgen oder in redaktionellen Konzepten die zugrunde liegende Intention zu verstehen. Im aktuellen Fall ist die Intention der Titelgestaltung unklar. Ob die denkbare Relativierung der (umstrittenen und m.E. unterschätzten) Person des Ex-Bundespräsidenten im Titel der ZEIT unbeabsichtigt ist, bleibt offen. Aber wäre es vorstellbar, wenn anstelle von Horst Köhler etwa Helmut Schmidt im Titel neben Jörg Kachelmann steht? Irgendwie nicht. Relativierung, darauf sei hingewiesen, ist grundsätzlich ein subtiles strategisches Instrument. Ein hartes und problematisches noch dazu. Es beinhaltet eine (Ab-)Wertung.

Zugegeben, es handelt sich hier nur um eine winzige Facette journalistischen Handelns. Und doch kann die Bildauswahl viel sagen über die Glaubwürdigkeit eines Mediums. Erfolgreiche Medienkonzepte leben in besonderem Maße von ihrer Authentizität. Authentisch ist, wenn Inhalte und Botschaften auf allen Ebenen (textlich, visuell, zwischen den Zeilen) zusammenpassen. Bei all dem kann nicht nur die Auswahl und der Stil von Bildern, sondern auch Position und Zusammenstellung wichtig sein.

Darüber sollte man nachdenken. In einer kommunikationsüberfluteten Welt, lieber Giovanni di Lorenzo, sagt ein Bild manchmal mehr als 1.000 Worte – oder sagen vielleicht auch zwei Bilder genau das, was der Journalist im Herzen trägt. Und was ist die Botschaft in diesem Fall? Die Glaubwürdigkeit der Medien bedingt die Transparenz  journalistischer Intention, auch in der Bildsprache.