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Plädoyer für ein besser kommuniziertes Europa

Manche sehen Europa in der Sinnkrise. Andere sehen Europa ist in einer veritablen Kommunikationskrise. Und tatsächlich kann man mit Blick auf das britische Votum für den Brexit den Eindruck haben, dass Europa in entscheidenden Momenten kommunikationsunfähig ist. Aber so einfach ist es nicht.

Jahrzehntelange wurde die europäische Integration primär als politisches und wirtschaftliches Projekt, nicht aber als anspruchsvolle Kommunikationsaufgabe verstanden. Das hat sich inzwischen geändert. Allerdings steht Europa vor Herausforderungen, die neue kommunikative Lösungen verlangen. Die EU muss sich nach außen hin in der Weltgemeinschaft, vor allem aber auch im Innern glaubwürdig profilieren – vor allem um nicht durch populistische und nationalistische Strömungen ausgehöhlt und beschädigt zu werden. Statt ein „besseres Europa“ zu fordern, wie es derzeit oft zu hören ist, sollten wir uns um ein „besser kommuniziertes Europa“ bemühen. Die Glaubwürdigkeit und die Zukunft Europas hängen nämlich auch von seiner professionellen Kommunikation ab. Dazu ein Plädoyer.

Europas unbemerkter Paradigmenwechsel

Wie kommuniziert die EU heute? Vor rund 11 Jahren, nach zwei  gescheiterten Referenden in Frankreich und den Niederlanden zum Vertrag über eine Verfassung für Europa, kam es zu einem ersten deutlichen Kommunikationsschub auf EU-Ebene. Die Erkenntnis damals: „Inhalte der EU-Politik erreichen den einzelnen Bürger nicht.“ Es gab ein Umdenken. Führende Köpfe wie Margot Wallström und Viviane Reding  haben die Entwicklung vorangetrieben und die Infrastruktur für eine starke externe und gut verknüpfte interne Kommunikation aufgebaut. Manch einer erinnert sich vielleicht noch an den „Plan D für Demokratie, Dialog und Diskussion“. Er war Teil eines umfassenden „Aktionsplans für eine bessere Kommunikationsarbeit der Kommission zu Europa“. Und in Erinnerung ist auch noch das „Weißbuch zur Kommunikationsstrategie und Demokratie in der Europäischen Union“. Es legte Koordinaten für eine bürgerorientierte und bürgernahe europäische Öffentlichkeitsarbeit fest. Zum ersten Mal hatte Europa bzw. die EU-Kommission jetzt eine Kommunikationsstrategie. Die EU hatte sich in den Folgejahren spürbar weiterentwickelt.

Das war ein erster Paradigmenwechsel. Eine weitere Stufe des Kommunikationsturbos, die man als „zweiten Paradigmenwechsel“ bezeichnen könnte, wurde mit dem Amtsantritt von Jean-Claude Juncker als Kommissionspräsident gezündet. Von der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt hat er die Kommunikation der EU-Kommission weiter professionalisiert und  Strukturen aufgebaut, die einem international tätigen Konzern würdig wären, der sich in unterschiedlichen Ländermärkten behaupten muss. Die für Kommunikation zuständige Generaldirektion Kommunikation ist jetzt dem Präsidenten unterstellt und damit Chefsache. Rund 1.000 Menschen arbeiten für die GD Kommunikation, davon rund 500 festangestellte. Das Jahresbudget beläuft sich auf rund 78 Mio. €. Es gibt Managementpläne und Jahresberichte (die jeder interessierte Bürger nachlesen kann). Die interne Koordination der Kommissionsarbeit und der EU-Organe wurde verbessert und die weit verzweigte Infrastruktur aus nationalen Vertretungen und Partnern ausgebaut.

Kurzum: Strategisch und operativ kommuniziert die EU-Kommission heute hochprofessionell. Das muss einmal festgehalten werden in Zeiten, da alle Kritik und alle Probleme Europas auf die Kommission und insbesondere den Kommissionspräsidenten projiziert werden. Mit seiner Weichenstellung für eine kommunikationsstarke EU hat Juncker weit besser als viele europäische Regierungschefs deutlich gemacht, was es braucht, um die Gemeinschaft der EU im Innersten zusammenzuhalten.

Und er ist nicht allein. Alle drei Organe der EU, die Kommission, das Parlament und der Rat (Europäischer Rat und Rat der europäischen Union) sind kommunikativ mittlerweile gut aufgestellt. Soviel geballte Kommunikationskompetenz haben wir also in europäischen Institutionen.

Trotzdem findet primitiver Populismus in Europa oft leichter Gehör (und Zustimmung) als die EU-Profis. Professionalität und Populismus stehen im Wettkampf, in einem unfairen und asymmetrisch ausgetragenen Wettkampf. Ihn zu gewinnen, ist eine zentrale Herausforderung, die das vereinte Europa heute zu meistern hat. Unlösbar ist die Aufgabe nicht.

Populismus überschattet die integrierende Funktion der Kommunikation

Dass über Europa, über Errungenschaften wie auch über gemeinsame Herausforderungen unserer Staatengemeinschaft gestritten wird – in Zeiten fundamentaler Krisen auch heftig gestritten wird, das ist ein  Stück demokratischer Kultur. Und da jeder der 28 Mitgliedsstaaten von anderen historischen Erfahrungen geprägt ist und Europa daher anders wahrnimmt, ist das auch verständlich. Dass an der Europäischen Union aber grundsätzlich gezweifelt wird und dass aufkeimender Nationalismus in Wechselwirkung mit Enttäuschung über die politische Kultur und mit Verlustängsten die Grundfesten unseres europäischen Miteinanders zu erschüttern droht, ist bedenklich.

Bei manchen Bürgern kommt – durch nationale oder regionale Partikularinteressen mutwillig oder fahrlässig verursacht – bisweilen nur ein Zerrbild Europas an. Pauschale Kritik lässt sich viel leichter mobiliseren als Wertschätzung für die erreichte Vorteile und Annehmlichkeiten der Gemeinschaft, auch weil das europäische Zusammenwachsen nie als gemeinsamer Lernprozess verstanden und kommunikativ  begleitet wurde. Der britische Historiker Harold James hat kürzlich in einem Interview mit der SZ eine „Ideenunion“ gefordert: eine Union, in der wir Europäer „gemeinsame Probleme gemeinsam verstehen und lösen können“. Hätte sich diese Haltung von Anfang an als Grundlage eines europäischen Lernprozesses durchgesetzt, wäre uns mancher Konflikt möglicherweise erspart geblieben.

Im Mittelalter waren Pest und Cholera Geißeln der Menschheit. In der hochentwickelten, globalen Kommunikationsgesellschaft, in der der gefühlte Informationsgrad hoch, die Orientierung aber gering ist, kann man den Populismus als eine Geißel betrachten. Er kann Frieden und Wohlstand gefährden und verbreitet sich in Windeseile.

Gegen Populismus hilft nicht zuletzt gute Kommunikation. Sie hat nämlich eine integrierende Funktion, von der alle profitieren. Wenn es gelingt, den EU-Bürgern ihre gemeinsamen Interessen und den besonderen Wert des Staatenverbunds dauerhaft bewusst zu machen und auch Lösungswege für die großen Probleme Europas aufzuzeigen, dann entsteht genau das positive Grundrauschen, das Europa so dringend braucht. Dann könnte sich die Wahrnehmung der europäischen Institutionen bei den Bürgern (das „Systemvertrauen“) weiter positiv entwickeln: von einer Projektionsfläche für Dauerkritik hin zum akzeptierten Spielmacher. „Interesse“ ist hierbei das Schlüsselwort. Denn um die Akzeptanz und die Begeisterung für die EU zu stärken, muss man zunächst das Interesse an Europa wecken bzw. wachhalten. Wie kann das über die umfassenden Kommunikationsmaßnahmen der EU hinaus noch besser geschehen?

Europa braucht mehr als eine breit angelegte europäische Öffentlichkeitsarbeit. Mit einer neuen Beteiligungsstrategie kann die EU sich als Themenführer in allen EU-relevanten Feldern behaupten

Mehr Bürgernähe: dieses Ziel hat die EU im großen und ganzen erreicht. Das Bürgerinteresse an Europa aber, das Vorausetzung für Verständnis und Akzeptanz in der Bevölkerung ist, ist damit keineswegs in gleicher Weise gewachsen. Die geringe Wahlbeteiligung bei Europawahlen ist ein Indiz, wie wenig wichtig vielen Bürgern Europa insgesamt ist (im Vereinigten Königreich beteiligt sich seit jeher nur rund ein Drittel aller Bürger an den Wahlen zum Europäischen Parlament, in den neuen osteuropäischen EU-Ländern ist das Bürgerinteresse noch deutlich niedriger).

Dafür gibt es im wesentlichen drei Gründe:

  1. Professionelle Kommunikationsangebote müssen sich etablieren. Es braucht schlicht Zeit, bis sich die neuen Kommunikationsstrukturen und -angebote der EU positiv auf die öffentliche Meinungsbildung auswirken. Der von Jean-Claude Juncker initiierte Paradigmenwechsel ist noch jung und muss in den kommenden Jahren konsolidiert und vorangetrieben werden. Trotz der Fülle von Kommunikationsmaßnahmen auf EU-Ebene, aber auch in den Ländern und Regionen kann die Wirkung bei 28 Mitgliedsstaaten und über 500 Millionen Menschen zudem nur punktuell sein. Ein Kommunikationsbudget von rund 80 Mio. € klingt zwar üppig, kann aber in Anbetracht der Aufgabe und der Bevölkerungszahlen nur eine begrenzte Wirkung entfalten.
  2. Europa fehlt eine starke gemeinsame Leitidee. Angesichts der vielfältigen nationalen und regionalen Identitäten mangelt es in Europa an einer gemeinsamen Vorstellung der wichtigsten „Markenmerkmale“ und der Werte, kurz gesagt: an einem europäischen Leitbild. Das macht es für alle Akteure schwierig, wirkungsvoll zu vermitteln, was Europa als Gemeinschaft zusammenhält. Gute Kommunikation braucht eine starke Leitidee.
  3. Europa fehlt eine europaweit mobilisierende, identitätsstiftende Kampagne. Populisten haben ein leichtes Spiel, Menschen emotional anzusprechen und mit Kampagnen zu mobilisieren, weil sie in einer unüberschaubaren Welt voller Probleme scheinbar einfache Lösungen  und damit Orientierung bieten. Das ist gerade bei einer so hochkomplexen Organisation wie der EU gefährlich. Lügen und irreführende Argumente können sich durch falsche Sinnstifter leicht durchsetzen – siehe Brexit-Referendum. Dagegen hilft nicht nur maximale Transparenz (dazu tragen die EU-Einrichtungen ja umfangreich bei), sondern eine mitreißende, emotional ansprechende, europaweit wirksame Kampagne zur europäischen Identität. Eine Leitbildkampagne, die alle EU-Bürger anspricht und die den Mehrwert Europas bewusst macht. Es gibt viele Ansätze in dieser Richtung, aber einen großen Wurf hat die EU bislang nicht geschafft.

Strategie für Europa:
Mit einer Leitbildkamapgne zu mehr Europa-Bewusstsein

Wie kann die EU also das, was sie zusammenhält, noch besser kommunizieren?

Grundsätzlich muss sie den geplanten Kommunikationskurs (siehe Managementplan für 2016-2020) auch weiterhin konsequent fortsetzen. Das wird sich langfristig auszahlen und zur Stärkung des europäischen Gedankens beitragen. Aber der Kampf gegen populistische europakritische Kampagnen ist damit nicht gewonnen. Hierfür sind vielmehr weitere Anstrengungen notwendig mit dem Anspruch, die Themen- und Meinungsführerschaft in allen europarelevanten Feldern zu behaupten.  Die EU darf nicht zulassen, dass Populisten und EU-Skeptiker die öffentliche Meinungsbildung über Europa bestimmen!

Im Managementplan der Generaldirektion Kommunikation wird dieser Anspruch nicht explizit formuliert. Die Themenführerschaft in den europarelevanten Feldern anzustreben, würde über das hinausgehen, was die Kommission heute auf dem Plan hat. Dabei müsste der Anspruch, als Kompetenzträger und Spielmacher in allen kritischen Themenfeldern wahrgenommen zu werden, gar nicht politisch verstanden werden, sondern als Ausdruck professionellen Kommunikationshandwerks. Das riesige Kommunikationsangebot der EU-Organe zahlt darauf nur zum Teil ein.

Die EU sollte sich nicht darauf beschränken, Transparenz und Orientierung durch eine breit angelegte Informationspolitik zu gewährleisten, sondern sie sollte auch mobilisieren: für Europa begeistern.

Dazu könnte eine Beteiligungsstrategie beitragen, die alle EU-Bürger in eine intensive Auseinandersetzung über Werte und Prinzipien der europäischen Gemeinschaft einbindet und das Gemeinschaftsgefühl stärkt. Umgesetzt werden könnte solch eine Strategie am besten durch eine europaweite und längerfristig angelegte Kampagne, etwa unter der zentralen Fragestellung „Was verbindet uns in Europa?“

Eine solche Kampagne, die sich an die EU-Bürger endet, könnte die erste Stufe in einem Prozess sein, der vielleicht eines Tages zu einem europäischen Leitbild führt. Sie wäre auch Ausdruck einer Beteiligungsstrategie, mit der die Bürger in die Weiterentwicklung unseres europäischen Staatenverbunds eingebunden werden könnten. Es wäre eine qualitativ ausgerichtete („Stärkung und Schärfung eines europäischen Bewusstseins“) und eine quantitativ wirksame (Einbindung aller EU-Bürger und EU-Länder) Kampagne.

Die EU braucht ein Leitbild als Kompass für glaubwürdige und konsistente Kommunikation

Die EU könnte sich (wie im übrigen Kommunikationsmanagement auch) an der Unternehmenswelt orientieren. In der täglichen Unternehmenspraxis sind verbindliche Leitbilder unverzichtbar. Sie dienen nicht nur als berechenbarer Kompass, sondern sorgen auch für ein gemeinsames Verständnis der Unternehmensziele und Spielregeln. Die EU hat solch ein Leitbild nicht. Auch wenn es heute schwer vorstellbar ist, dass ein europaweiter Leitbildprozess rasch zu einem gemeinsamen (und gemeinsam formulierten) Verständnis der europäischen Gesellschaften führt, unvorstellbar ist es nicht.

Aus Kommunikationssicht wäre ein europäisches Leitbild hilfreich. Denn wie kann man so etwas wie eine europäische Identität und damit auch einen gemeinsamen Kommunikationsanspruch auf den Punkt bringen, wenn die verbindenen Elemente nicht klar sind und jeder andere Vorstellungen einbringt? Schließlich gibt es genügend Widersprüche und Konfliktthemen im europäischen Zusammenspiel (zwischen Brüssel und EU-Staaten), bei denen ein gemeinsames Leitbild helfen könnte.

Gewiss, es gibt die „Charta der Grundrechte der Europäischen Union“, die im Zuge des Vertrags von Lissabon für nahezu alle Staaten Verbindlichkeit erlangte. Aber hier geht es um Grundrechte. Daneben gibt es gemeinsame kulturelle Vorstellungen, die sich aus den einzelnen demokratischen Kulturen der EU-Länder ableiten. Aber das alles entspricht nicht den „Corporate Prinicples“ eines Leitbilds, wie man es aus der Wirtschaft kennt.

Dabei liegt der Nutzen eines europäischen Leitbilds auf der Hand:

  • Für Unternehmen gilt: „Leitbilder beschreiben im Kern die Geschäftstätigkeit – Ziel, Zweck und Nutzen für die Stakeholder – und fixieren verbindlich und nachvollziehbar Grundsätze und Werte, nach denen das Unternehmen handelt“.
    Für die EU hieße das: Ein gemeinsames Leibild würde die „Markenmerkmale“ und die Spielregeln des europäischen Staatenverbunds auf den Punkt bringen.
  • Für Unternehmen gilt: „Leitbilder sind eine zuverlässige Richtschnur für Entscheidungen und Verhalten aller Mitarbeiter und Führungskräfte.“
    Für die EU würde das bedeuten: Das kritische und politisch komplexe Rollenverhältnis zwischen nationalen Regierungen und EU-Organen könnte verbindlich beschrieben (und geregelt) werden. Damit würden nationale politische Entscheidungen und Positionen für die Bürger berechenbarer werden. Kritische Europa-Themen wären verständlich und kommunizierbar.
  • Für Unternehmen gilt: „Leitbilder sind auch für Kunden und externe Stakeholder eine Messlatte, um das richtige, unternehmenskonforme Handeln von Mitarbeitern im Einzelfall beurteilen zu können.“
    Für die EU-Bürger würde das heißen: Sie können Europa ihre nationalen Politiker an europäischen Standards messen und besser in die Pflicht nehmen, etwa wenn es darum geht, europäische Errungenschaften zu verteidigen.

Wie in der Wirtschaft würde die auch EU vom Prozess der Entwicklung eines Leitbilds profitieren, weil dabei wichtige gesellschaftliche Diskurse ausgelöst würden. Europa wird damit relevant für die Menschen. Und wenn die Bürgern den Mehrwert des vereinten Europas besser erkennen und zu schätzen wissen, fühlen sich deren politische Vertreter vielleicht auch stärker verpflichtet, europäische Spielregeln einzuhalten (im Sinne eines „guten Familienmitglieds“).

Eine europaweite Kampagne kann Interesse wecken: „Europe in My Region“-Kampagne als Blaupause?

Wenn es gelänge, über eine große europaweite Kampagne alle EU-Bürger zu erreichen und in alle Ländern und Regionen der Gemeinschaft auszustrahlen, könnte Europa für die EU-Bürger interessant werden.

Wenn es gelänge, dass auf diesem Weg in Europa, über Fragen und Perspektiven der europäischen Integration in großem Umfang gleichermaßen kritisch und konstruktiv diskutiert wird, dann könnte auch eine echte europäische Streitkultur entstehen – das beste Gegenmittel gegen populistische Kräfte.

Und wenn es gelänge, ein europäisches Gemeinschaftsgefühl zu entwickeln, das sich gut mit nationalen und regionalen Interessen und Identitäten verbindet, könnte das von der lähmenden Europa-Lethargie zu einer Europa-Begeisterung führen.

Es gibt gute Ansätze, die fortgeführt oder weiterentwickelt werden könnten. So hat die Kommission vor kurzem die erste EU-weite Kommunikationskampagne „Europe in My Region“ umgesetzt, um den Bürgern die Bedeutung EU-finanzierte Projekte in Europa zu vermitteln. Die von der Generaldirektion Regionalpolitik und Stadtentwicklung der Kommission organisierte Kampagne lief vom 29. April bis zum 11. Juni 2016 in 23 EU-Ländern und begeisterte tausende Bürger. Ein spannendes, klar fokussiertes Themenprojekt mit kurzer Laufzeit. Im größeren Stil und mit langer Laufzueit von mindestens einem Jahr könnte man dieses Vorgehen auch auf eine mögliche EU-weite Leitbildkampagne übertragen.

Vielleicht müsste sich solch eine Leitbildkampagne aber auch eher an großen Themen- und Komunikationsinitiativen wie der Lutherdekade orientieren, mit der über mehrere Jahre hin aus Anlass des 500. Reformationsjubiläums evangelische Themenwelten vermittelt werden. Dieses kommunikative Großprojekt schafft es, komplexe Themenwelten glaubwürdig und attraktiv zu vermitteln und den Dialog zu fördern.

Natürlich würde es erhebliche Budgetmittel erfordern, um über einen langen Zeitraum hinweg die gewünschte mobilisierende Wirkung zu entfalten, den europäischen Gemeinschaftssinn zu stärken und Anti-Europa-Populisten wirkungsvoll zu begegnen.

EU muss die Prioritäten richtig setzen

Bedenken wir, worum es geht. Die Rettung Griechenlands hat die EU mehr als 240 Mrd. Euro gekostet. Die Euro-Rettung hat unvorstellbare Milliardensummen verschlungen. EZB-Chef Draghi hat den wesentlichen Schritt zur Euro-Rettung mit dem Versprechen geschafft, den Euro „um jeden Preis“ zu retten. Daran sollte sich auch die Kommunikation orientieren. Wenn Europa auseinandertreibt, weil es letztlich an einem fehlenden gemeinsamen Verständnis und unterschiedlichen Wertvorstellungen gescheitert ist, dann wäre das ein politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Totalschaden.

Gemessen an den Milliardenkosten für die Euro-Rettung sollten die Mittel für eine europaweite bereitenwirksame Gemeinschaftskampagne ein gutes Zukunftsinvestment sein. Europa sollte uns das wert sein!

Aufruf zum Briefing: Kommunikationsexperten sollten am Konzept einer europaweiten Leitbildkampagne mitarbeiten

Es wäre vermessen, hier die Briefingkoordinaten einer solchen Kampagne zu skizzieren. Vielmehr sollten in diesem ersten vorbereitenden Schritt die Kommunikationsprofis aus den EU-Ländern eingebunden werden.

Es ist erstaunlich, wie wenig sich beispielsweise die Kommunikationsbranche in Deutschland mit ihren Verbänden um europäische Kommunikationsherausforderungen kümmert, obwohl sich Kommunikationsmanager größerer Unternehmen täglich mit Entscheidungen und Entwicklungen in Brüssel auseinandersetzen.

Ich würde Jean-Claude Juncker empfehlen, die Kommunikationsexperten in Europa zur Mitarbeit an einem Briefing für eine europaweite Leitbildkampagne aufzufordern und hierfür beispielsweise einen Kommunikationskongress der DG Kommunikation zu organisieren. Dann würde das Bemühen um ein europaweit tragfähiges Leitbild der EU vermutlich rasch zu einem Leitthema werden.

Alle, denen der Zusammenhalt in Europa am Herzen liegt, sind hier in der Pflicht.

Fazit

Europa ist auf gute, glaubwürdige Kommunikation angewiesen. Es hat große Fortschritte gemacht. Jean-Claude Juncker hat einen zweiten Paradigmenwechsel vollzogen und die Grundlage für eine Kommunikation nach professionellen Standards geschaffen.

Nun geht es darum, auf Basis dieser verbesserten Europa-Kommunikation Strategien zu entwickeln, um europaskeptischem Populismus den Wind aus den Segeln zu nehmen. Dabei sollte sich die EU vom Anspruch leiten lassen, die Themenhoheit über zentrale, europarelevante Felder nicht zu verlieren.

Um das gemeinsame Bewusstsein der EU-Bürger weiterzuentwickeln und deutlich zu machen, welche Werte die Gemeinschaft prägen und was sie eint, plädiere ich für ein europäisches Leitbild. Der Weg dahin ist lang, könnte aber im ersten Schritt beispielsweise über eine EU-weite Kampagne unter dem Arbeitsmotto „Was verbindet uns in Europa?“ führen. Diese könnte einen europaweiten Diskurs über europäische und nationale Identität und über gemeinsame europäische Visionen auslösen.

Wenn Europa besser und intensiver kommuniziert, ist das ein Gegenmittel gegen die wachsende populistische Europaskepsis. Alle Kommunikationsmanager, denen ein starkes Europa am Herzen liegt, sind aufgefordert, hieran mitzuwirken.

Zugegeben, das alles löst nicht die aktuellen politischen Fragen. Es löst nicht die Euro-Krise, nicht die Flüchtlingsthematik und macht Europa nicht sicherer. Darum geht es hier nicht. Aber wer ein „besseres Europa“ fordert, muss zu allererst ein „besser kommuniziertes Europa“ fordern.

Ehrlich gesagt glaube ich: Dies ist die leichteste aller Aufgaben, die Europa derzeit zu bewältigen hat!