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Zwischen unternehmerischen Interessen und gesellschaftlicher Verantwortung liegt manchmal nur ein schmaler Grat. Das bedeutet für Kommunikationsmanager, die sich im Dialog mit ihren Stakeholdern auf diesem schmalen Grat bewegen müssen, einen Balanceakt.

Dabei hilft die Erkenntnis, dass Glaubwürdigkeit im Kommunikationsauftritt nicht nur ein Ausdruck von Verantwortung, sondern der Schlüssel zu hoher Kommunikationseffizienz ist und damit doppelt im Unternehmensinteresse liegt. Worum aber geht es genau, und warum ist es offensichtlich so schwer, glaubwürdig zu kommunizieren?

Über verlorene Glaubwürdigkeit wird oft gesprochen, wie man sie erreicht und bewahrt, wird dagegen kaum diskutiert. Glaubwürdige Kommunikation bewährt sich besonders in kritischen Situationen. Wenn nämlich Kommunikationsprofis, sonst gut informiert und mit feinem Gespür für Herausforderungen, von Krisen überrollt werden und ihnen die Kontrolle entgleitet, ist dies oft nicht auf handwerkliche Fehler, sondern auf schwache Grundsätze zurückzuführen.

Wenn Kommunikation als glaubwürdig wahrgenommen wird, erreicht sie ihr Ziel und erfüllt ihren Auftrag. Nur glaubwürdige Kommunikation kann langfristig wirkungsvoll und effizient sein. Wie aber funktioniert dieses simple Prinzip im komplexen PR-Alltag, in dem Interessen Vorrang haben? Offensichtlich gibt es neben Professionalität und Know-how eine weitere Qualitätskategorie für PR-Manager, nämlich die persönliche Haltung, die auf verbindlichen Prinzipien und Werten basiert. Wie auch immer man diese beschreiben und messen mag, spürbar ist sie für die Kommunikationspartner allemal.

Das Glaubwürdigkeitsprinzip überträgt den Anspruch des ehrbaren Kaufmanns auf die Kommunikation

Vor einigen Jahren wurde mit dem Glaubwürdigkeitsprinzip aus Praxissicht skizziert, welche zehn Werte und Eigenschaften zu einem glaubwürdigen Kommunikationsauftritt beitragen können. Es ist weniger als verbindlicher Kanon gedacht, eher als ein zur Reflexion anregendes Leitbild für wirkungsvolle Kommunikation. Im Zentrum stehen die Werte Ehrlichkeit, Transparenz und Authentizität. Hinzu kommen Mut, Fairness und Respekt, Berechenbarkeit, Souveränität, Verantwortungsbewusstsein, Sinn für das rechte Maß und Professionalität (im Sinne konzeptionell-strategischer Exzellenz).

Wertekanon für ein Kommunikationsmanagement mit Prinzipien
Wertekanon für ein Kommunikationsmanagement mit Prinzipien

Ob man sich am Glaubwürdigkeitsprinzip, am Kommunikationskodex, an einem spezifischen Unternehmenskodex oder an einem individuellen Wertekanon orientiert, ist indessen zweitrangig. Entscheidend ist, dass die konsequente Reflexion und die bewusste Berücksichtigung der Prinzipien und Werte in der Praxis überhaupt stattfinden. Neben den sachlichen und unternehmenspolitischen Kriterien sollten diese Prinzipien Basis aller strategischen und operativen Entscheidungen sein.

Wie funktioniert der Kompass glaubwürdiger Kommunikation? Eine Gratwanderung bedeutet Kommunikation vor allem in Krisen und Konflikten. Gelingt sie, werden Konflikte aufgelöst und Handlungsspielräume eröffnet (z.B. wichtige Veränderungsprozesse im Unternehmen in Gang gesetzt). Misslingt sie, kann das Unternehmen Schaden leiden. Maßgeblich beeinflusst wird die Kommunikation in solchen Fällen durch die richtigen Entscheidungskriterien, zu denen neben Informationen und Einschätzungen eben auch ein Wertekompass gehört.

Ein Beispiel aus einem aktuellen Interim Mandat verdeutlicht das: Das betreute Unternehmen stand vor der Aufgabe, seine Mitarbeiter für eine einschneidende Veränderung zu begeistern. Die Gesellschaft im Besitz mehrerer Konzerne sollte nämlich aufgelöst und in mehrere unabhängige Betriebseinheiten umgewandelt werden. Das war nur möglich, wenn die Mitarbeiter die Veränderung verstehen, akzeptieren und aktiv unterstützen. Andernfalls wäre die Betriebssicherheit der Konzerne bedroht gewesen. Bei der Entscheidung für einen tragfähigen Kommunikationsansatz hat die Orientierung am Glaubwürdigkeitsprinzip geholfen, die entscheidenden Fragen richtig zu beantworten. Wird die bis dahin restriktive, auf ein Minimum beschränkte Kommunikationspolitik fortgesetzt, oder wird ein breit angelegter interner Dialog gefördert, der einen Mentalitätswandel erfordert und unbequem ist? Wie werden Kritiker und Skeptiker eingebunden? Orientiert sich die Kommunikation an dem, was die Führungskräfte oder Mitarbeiter wünschen, oder an dem, was das Unternehmen in dieser Phase aus professioneller Sicht braucht (das klassische Dilemma jedes PR-Beraters)?

Transparenz hatte mithin höchste Priorität und wurde in vielfältigen Maßnahmen erlebbar gemacht. Der Angst des Managements vor zu viel Transparenz war mit Mut und Souveränität zu begegnen. Auch Ehrlichkeit, Berechenbarkeit, Fainess und Respekt wurden als maßgebliche Prinzipien für Mitarbeiter und Führungskräfte in vielfältiger Form spürbar gemacht. So aufgesetzt, wurde die projektbegleitende Kommunikation als glaubwürdig erlebt und trug maßgeblich zum erfolgreichen Changeprozess bei. In vielen vergleichbaren öffentlich bekannten Fällen werden diese Werte bei der strategischen Kommunikationsplanung nicht in dieser Weise ernstgenommen. Entsprechend ineffizient verlaufen solche Vorhaben dann oft.

Prinzipien und verbindliche Werte helfen bei der Navigation und Deeskalation in Krisen

In Krisen lassen sich die wichtigsten Eskalationstreiber durch die konsequente Berücksichtigung von Werten unmittelbar positiv beeinflussen. Entscheidend ist, die Handlungsoptionen werteorientierter Kommunikation für die spezifische Situation richtig zu erkennen und zu nutzen. Hier einige Beispiele:

  • Durch Eskalation in Krisen droht Reputations- und Vertrauensverlust, wenn Diskrepanzen zu einem gelernten Unternehmensprofil entdeckt werden (z.B. Profilwahrnehmung als„anfällig, instabil“ statt „leistungsstark, erfolgreich, profitabel“ oder „inkompetent, unzuverlässig“ statt „kompetent, zuverlässig“). Um diese Diskrepanzen zu verringern, sollten Ehrlichkeit, Transparenz, Authentizität und Professionalität als Grundprinzipien des Unternehmens spürbar gemacht werden.
  • Krisen eskalieren durch Ängste. Diese können zur negativen Meinungsbildung beitragen bis hin zu Massenprotesten oder „Shitstorms“. Neben Professionalität und Verantwortungsbewusstsein sollten Berechenbarkeit, Fairness und Respekt (vor den Sorgen der Menschen) erlebbar sein, um die Kommunikationshoheit zu sichern und Eskalation durch Ängste betroffener Stakeholder zu vermeiden.
  • Krisen können auch dadurch eskalieren, dass Interessengruppen sie zur Einflussnahme nutzen und so den Handlungsspielraum des Managements einschränken, ggf. sogar den Weg aus der Krise erschweren. Neben Ehrlichkeit, Transparenz und Authentizität kommt es in dieser Situation vor allem auf Mut und Souveränität an.
  • Krisen können auch eskalieren, wenn Stakeholdererwartungen aus technischen oder personellen Gründen nicht bedient werden können. Mancherorts ist die Infrastruktur des Kommunikationsmanagements nicht darauf ausgelegt, in Krisen mit eigenen Mitteln die notwendigen Spielräume zu sichern. Nicht zuletzt deswegen sollte man sich stets auch um eine passende Infrastruktur der Unternehmenskommunikation bemühen (beim Ringen um Köpfe und Budgets zeigt es sich, wie ernsthaft die Unternehmensführung diesen professionellen Anspruch unterstützt). Ja, auch Professionalität ist ein Wert: Er bedeutet, Menschen Freiraum zu gewähren und ihnen die Möglichkeit zu schaffen, ihre Leistungen zu erbringen, Ziele zu erreichen und sich in ihrer Arbeit zu verwirklichen. Professionalität bedeutet auch Abfederung von Engpässen und vermeidbaren belastungen. Sie ist insofern auch Stärkung und Fürsorge für die Mitarbeiter im Team.

Eine weitere Erkenntnis hilft in Krisen: Die Glaubwürdigkeit eines Unternehmens entsteht im Innern. Das in vielen Unternehmen feststellbare starke Übergewicht der externen Krisenkommunikation bei Vernachlässigung der internen Stakeholder ist gefährlich. Die im Glaubwürdigkeitsprinzip angelegte Aufmerksamkeit für interne Eskalationstreiber verhindert die häufig zu beobachtenden Diskrepanzen zwischen externer und interner Krisenkommunikation.

Ein positives Beispiel für glaubwürdige und deeskalierende Krisenkommunikation lieferte der einst mächtige Baukonzern Philipp Holzmann. Damals gelang es über mehrere Jahre hin, mit einem um Glaubwürdigkeit bemühten Ansatz, kommunikationsfähig zu bleiben, einzelne operative Krisenherde zu deeskalieren und trotz aller Widrigkeiten das Vertrauen von Investoren, Medien und vor allem der internen Stakeholder zu sichern. Glaubwürdigkeit durch Ehrlichkeit, Offenheit und Initiative anstelle von Zurückhaltung und „Salamitaktik“ trug dazu bei, die Krise steuerbar zu machen. Zugegeben, Glaubwürdigkeit und Werte können die Wahrnehmung, nicht aber die Realität beeinflussen. So ist auch Holzmann letztlich vom Markt verschwunden. In vielen anderen Insolvenzverfahren trägt gute
Kommunikation jedoch nicht nur zu einer fairen Abwicklung, sondern auch zu einem gelungenen Neustart bei.

Werte haben in der Krisenkommunikation einen praktischen Nutzwert

Kommunikationsentscheidungen werden in Krisen von sachlichen und unternehmenspolitischen Kriterien beeinflusst. Oft machen Partikularinteressen die Lage noch komplizierter (etwa persönliche Anliegen des Managements). Die zusätzliche Orientierung an klaren Prinzipien und Werten, quasi als dritte Dimension, bietet einen erkennbaren Nutzen:

  • Werte bringen Entscheidungssicherheit in schwieriger Situation und schärfen die Aufmerksamkeit für die richtigen Weichenstellungen.
  • Werte helfen, die richtige Story zur Krisenkommunikationsstrategie zu formulieren und Kommunikationsanlässe zu schaffen.
  • Werte tragen dazu bei, den Dialog mit kritischen Stakeholdern zu vertiefen und Vertrauen aufzubauen. So werden Stakeholderbeziehungen gefestigt und die Lage stabilisiert.
  • Werte schaffen und sicheren unternehmenspolitischen Handlungsspielraum für das Management.
  • Werteorientierung schärft außerdem die Aufmerksamkeit für den Bedarf und die Erwartungen aller Stakeholder und hilft, sich auf veränderte Anforderungen schneller und leichter einzustellen.

Glaubwürdigkeit zahlt sich auch bei der Neuausrichtung der Kommunikation aus

Hierfür ist die Kommunikation der Metro Group von 2001 bis 2008 ein gutes Beispiel. Sie wurde regelmäßig neu justiert mit dem Ziel, unternehmensrelevante Prinzipien intensiver erlebbar zu machen. Werte und Initiative im Umgang mit Kunden, Medien und anderen Stakeholdern sollten zu einem glaubwürdigen Profil beitragen und zugleich die Resilienz im krisenerprobten Lebensmittelumfeld erhöhen.

Das hieß konkret u.a.: Verzicht auf „Salamitaktik“ in Krisen, rasche und proaktive Auflösung von Konflikten, Konzentration auf realitätsrelevante Stories. Transparenz und Verantwortung entlang der Wertschöpfungskette zu zeigen war ein Grundprinzip. Ebenso war die Authentizität der handelnden Personen (bis hin zur Auswahl besonders authentischer Kampagnen-Testimonials) ein wichtiges Element. Der Glaubwürdigkeitsanspruch hat deutliche Impulse geliefert, um den Wirkungsgrad der Kommunikation zu erhöhen.

Fazit: Glaubwürdige Kommunikation schafft Differenzierung

Der Wertbeitrag glaubwürdiger Kommunikation in Krisen oder im besonderen Maße Weichen stellenden Situationen ist anhand der genannten Nutzenargumente gut beschreibbar. Darüber hinaus kann man die Wirkungsweise eines konsequent um Glaubwürdigkeit bemühten Kommunikationmanagements ganz allgemein an drei Merkmalen festmachen:

  1. Werteorientierte Kommunikation setzt andere, optimierte Strukturen im Kommunikationsmanagement voraus und fördert diese (sie sorgt beispielsweise für ausreichende Ressourcen und passende Prozesse, um  die Erwartungen aller relevanten Stakholder bedienen zu können). Das stärkt die Kommunikationseffizienz und zahlt unmittelbar auf den Unternehmenserfolg ein.
  2. Werteorientierte Kommunikation wirkt positiv auf die Performance der Unternehmensmarke (sie stärkt die Orientierung am Markenkern, macht auf mögliche Diskrepanzen zwischen Markenkern und Kommunikationsauftritt aufmerksam, sie hat eine kulturstabilisierende Wirkung). Auch dies unterstützt die Performance des Unternehmens im Wettbewerb.
  3. Werteorientierte Kommunikation multipliziert Vorbilder und Leitbilder im Unternehmen, etwa das Vorbild des CEO. Dies erhöht die Wirkung der internen Kommunikation und erweitert mittelbar und unmittelbar Spielräume des Managements.

Glaubwürdige und effiziente Kommunikation ist nicht schwer, wenn Kommunikationsmanager den Mehrwert für sich persönlich entdecken

Manchmal mögen fehlender Mut oder Bequemlichkeit im kommunikativen Umgang mit Konflikten ein Grund für die Ignoranz von Prinzipien und für den Glaubwürdigkeitsverlust von Unternehmen sein. Manchmal mag die Ursache auch darin liegen, dass ein glaubwürdiger Kommunikationsauftritt nach klaren Prinzipien eine zu starke Verbindlichkeit im Unternehmen bis hin zum Topmanagement schafft, die unerwünscht ist. Das eigentliche Problem liegt aber darin, dass Werte generell nicht ernstgenommen werden. Das gilt nicht nur, aber auch für die Kommunikationsbranche. Der jüngst (vor wenigen Jahren) verabschiedete Kommunikationskodex ist genau wie die älteren Ethik-Kodizes nur Papier. Dass er neue Impulse in der Branche gesetzt oder gar ein Umdenken bewirkt hätte, wird niemand behaupten wollen.

Aber Glaubwürdigkeit macht die Arbeit des PR-Managers in persönlicher Wahrnehmung sinnstiftend und effizient.

Und diese Erkenntnis beflügelt. Was ganz praktisch hilft, ist die Anpassung des kategorischen Imperativs im Sinne der Frage: „Was passiert, wenn ich meine Werte und Grundsätze in Konfliktsituationen ignoriere?“ Diese Frage immer wieder neu und anlassbezogen zu beantworten, zu begründen und im Unternehmen zu vermitteln führt zu richtigen Kommunikationsentscheidungen. Glaubwürdige Kommunikation ist reflektierte Kommunikation.

Sie setzt Klarheit über die eigenen Werte und Ziele voraus. Davon ausgehend werden neue Chancen erkennbar, die es ermöglichen, kommunikative Spielräume konsequent zu erschließen. Das hat einen strategischen und operativen Nutzen und schlägt sich in höherer Kommunikationseffizienz nieder.

Der Beitrag ist mit geringfügigen Abweichungen im Magazin Kommunikationsmanager, Ausgabe Juni 2014, erschienen. Er basiert auf einem Vortrag im Arbeitskreis Krisenkommunikation und Issues Management der Deutschen PR Gesellschaft (DPRG) vom Februar 2014.