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Hinweis: Eine aktualisierte Version dieses Beitrags findet sich im Buch „Glaubwürdig kommunizieren“ von Wolfgang Griepentrog.

Es geht ein Gespenst um in Europa: das Gespenst des Kontrollverlustes. Das Kommunikationsmetier ist von dieser Angst besonders befallen. Unternehmen und Organisationen haben damit ihre Schwierigkeiten (z.B. im Umgang mit den Social Media), aber auch Journalisten. Sie fürchten, ihre Themenhoheit, ihre Rolle und den Nimbus als Vermittler und Deuter und nicht zuletzt ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren – und darüber Kontrolle und Einfluss auf den öffentlichen Diskurs. Aus Sicht mancher Journalisten sind die Schuldigen ausgemacht: die PR. „Hilfe, die harten PR-Jungs nehmen uns die Themen weg!“ Aber wessen Sache ist es eigentlich, neue, spannende Themen aktiv auf die Agenda der Öffentlichkeit zu setzen? Ist das ausschließlich Sache der Journalisten? Müssen nicht vielmehr die Unternehmen dies heute leisten? Und wenn es ihnen gelingt, die Öffentlichkeit oder bestimmte Stakeholdergruppen für relevante Themen zu sensibilisieren, bedeutet das für die Medien dann automatisch einen Verlust der Themenhoheit und -kontrolle? Hier spielen viele Ängste und Missverständnisse zusammen und wenn Agenda Setting als Projektionsfläche für den gefühlten Kontrollverlust herhalten muss, ist das gefährlich.

Beat Balzli, Chefredakteur der Schweizer Handelszeitung, hat vor kurzem formuliert: „Agenda Setting muss Sache der Journalisten sein!“ Mit tiefem Griff in die Klischeekiste hat er das Bild einer allmächtigen, von egoistischen Interessen gesteuerten PR gemalt, der ein passiver, satter, fauler Journalismus hilflos ausgeliefert ist. Sein kleiner, polarisierender Impuls sollte gewiss nur das journalistische Selbstbewusstsein der eidgenössischen Kollegen stärken. Aber den Graben aus Skepsis, Vorurteil und Ablehnung zwischen Journalismus und PR gibt es auch bei uns; er kann das partnerschaftliche Zusammenwirken der beiden wichtigsten Kommunikatorengruppen im Interesse von Klarheit und Orientierung in der Gesellschaft behindern. Und daher macht der Impuls von Balzli nachdenklich.

  • Der Wert des Agenda Setting wird ignoriert,
  • der unversöhnliche Graben zwischen PR und Journalismus wird weiter vertieft, was niemandem nützt (diesen Graben gibt es übrigens nicht zwischen ehrbarer PR und ehrbarem Journalismus),
  • die Angst vor Kontrollverlust sowohl in der PR als auch im Journalismus wird den Anforderungen der modernen Kommunikationsgesellschaft nicht gerecht.

Was heißt Agenda Setting heute eigentlich?

Früher wurde damit die Fähigkeit der Medien bezeichnet, bestimmte Themen gezielt zum Gegenstand des öffentlichen Diskurses zu machen und so gezielt die öffentliche Meinungsbildung zu beeinflussen. Im permanenten Bemühen, den (veränderten) Erwartungen und Ansprüchen kritischer Stakeholder gerecht zu werden, müssen heute auch Unternehmen und Organisationen als Agenda Setter Flagge zeigen. Das sind komplexe Prozesse, die die vielfältigen Möglichkeiten und Kanäle der Stakeholderkommunikation nutzen. Ohne die gute Zusammenarbeit mit den Medien ist Agenda Setting nicht wirkungsvoll. Als anspruchsvolles, PR-strategisches Tool hat Agenda Setting für Unternehmen heute eine große Bedeutung. Art, Inhalt und Strategie des Prozesses hängen dabei von vielen unternehmens-, aber auch themenspezifischen Kriterien ab.

Unbestritten ist der gesellschaftliche Wert von Agenda Setting. In der Sensibilisierung der Öffentlichkeit für bestimmte Themen liegen Impulse für notwendige gesellschaftliche Debatten und neue Problemlösungen. Agenda Setting trägt daher zum gesellschaftlichen Fortschritt bei. Der Lohn ist Vertrauen und ein Reputationsgewinn für diejenigen, die als erste ein komplexes, wichtiges Thema erschließen. Damit ist keineswegs eine langfristige Kontrolle oder Einflussnahme auf die Wahrnehmung und Entwicklung eines Themas in der Öffentlichkeit gesichert. Im Gegenteil: Agenda Setter sind angreifbar. Aber ist das Agenda Setting der Unternehmen wirklich ein Problem für Journalisten?

Was meint Balzli, wenn er Agenda Setting als „einzige Existenzberechtigung und hohe Schule der Medien“ bezeichnet? Aus meiner Sicht vermengt er verschiedene Dinge, die nicht zusammenpassen. Er reibt sich am wachsenden Einfluss einer professionalisierten und strategisch angelegten PR, mit der manche Journalisten nicht umgehen können. PR-Leute sind aus seiner Sicht Behinderer auf dem Weg zu „interessanten Leuten“, „graue Mäuse“, die den Weg zur Wahrheit verstellen. PR ist nach Balzli der natürliche Feind des Journalisten. Davon einmal abgesehen, dass er den positiven Wertbeitrag guter PR für Untenehmen und Gesellschaft ebenso ignoriert wie die Tatsache, dass effiziente PR dem Journalisten sein Handwerk erleichtert, hat all dies wenig mit Agenda Setting zu tun. Die PR hindert keinen Journalisten daran, spannende Themen ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken. Allein geht das sowieso nicht, denn anders als ein reiner Kampagnenjournalismus erfordert Agenda Setting das Zusammenspiel vieler verschiedenen Kanäle und Akteure.

Vielleicht helfen diese drei Überlegungen, die Missverständnisse aufzulösen:

  1. Unternehmen und Medien haben erkannt: Wer heute Menschen erreichen möchte, muss Kommunikation initiativ gestalten. Das geht nicht (allein) mit Strippenziehen und auch nicht mit reinem Kampagnenjournalismus, sondern mit klugem Management der richtigen Themen. Agenda Setting ist keine Domäne des Journalismus, sondern grundsätzlich die Aufgabe eines jeden verantwortungsbewussten, strategisch orientierten Kommunikationsmanagers.
  2. PR-Leute und Journalisten sind Partner; sie sitzen im selben Boot. Sie haben neben ihrem jeweiligen unternehmerischen oder journalistischen Auftrag eine gemeinsame übergeordnete Mission als professionelle Kommunikatoren, die darin besteht, zu Verständigung, Klarheit und Orientierung in der Gesellschaft beizutragen. Jeder aus seiner Perspektive. Rollendenken ist wichtig (ich will auch keineswegs die unterschiedlichen Rollen zwischen PR und Journalismus verwässern), aber man sollte nicht darin verharren und daher den Graben der Skepsis zwischen Journalismus und PR nicht künstlich vertiefen. Wir sollten ihn zuschütten. Es geht um Anliegen und Interessen, aber vor allem geht es darum, die richtige Einordnung und Bewertung komplexer, relevanter Sachverhalte in der Öffentlichkeit zu ermöglichen. Das leistet die PR, das leisten die Medien: It´s the communication, stupid.
  3.  Auch das Kommunikationsmetier und die Reibungsflächen zwischen PR und Journalismus sind nicht von den Einflüssen verschont, die den gesellschaftlichen Austausch erschweren: Doppelmoral, Macht und Hybris. Es gibt nicht nur ehrbare PR und es gibt nicht nur ehrbaren Journalismus, es gibt auch die negative Instrumentalisierung in allen Spielformen. Die Angst vor Kontrollverlust hängt damit zusammen. Die Kommunikation zwischen Unternehmen, Medien und Gesellschaft ist zweifellos unfairer geworden. Was hilfreich ist für die Verständigung, ist die konsequente Orientierung an den Grundsätzen des Glaubwürdigkeitsprinzips: Ehrlichkeit, Transparenz, Authentizität, Fairness & Respekt, Berechenbarkeit, Souveränität, Verantwortungsbewusstsein, Sinn für das rechte Maß, Mut sowie Professionalität. Die Diskussionen und Beiträge der letzten Monate über diese Werte in der Praxis haben das aufgezeigt. Die Glaubwürdigkeit der PR und des Journalismus liegen in ihnen begründet.

Räumen wir die Missverständnisse aus. Jeder Akteur der öffentlichen Kommunikation soll seinen Auftrag souverän und selbstbewusst erfüllen. Der Journalist mit Mut und Engagement zur Recherche, der PR-Profi mit Mut und Engagement, spannende, relevante Themen zu identifizieren und die Öffentlichkeit dafür zu sensibilisieren. Ein Interessenkonflikt? Nein! Zwei Seiten der Seiten derselben Medaille.