18 Minuten

Vorbemerkung: Die Halbwertzeit im Kommunikationsmanagement in manchmal besonders kurz. Fünf Monate nach Publikationen dieses Beitrags, dessen Aufhänger (nicht Gegenstand!) der Konflikt Piëch/Winterkorn bei Volkswagen war, sind alle Akteure einschließlich Kommunikationschef Grühsem Geschichte. Damit erhält dieser Beitrag in der Rückschau eine weitere spannende Facette und gewinnt an Brisanz.

Wachstum und Erfolg können zum Risiko werden. Sie können träge machen. Für große Konzerne ist es besonders schwer, gerade bei anhaltendem Erfolgskurs notwendige Änderungen im Blick zu behalten. Dabei erfordern Größe und Komplexität einer Organisation permanent neue Impulse, um auch in Zukunft leistungsfähig zu bleiben. Ein Blick auf die Dax-Unternehmen zeigt, wie schwer das zu leisten ist.

Erfahrungsgemäß gelangt jede positive Entwicklung irgendwann in eine kritische Phase. Mal stockt die Wachstumsdynamik, weil das Leistungsangebot in Teilmärkten nicht mehr passt. Mal sind Wettbewerber schneller und machen die Technologieführerschaft streitig, weil Innovationen nicht rechtzeitig forciert wurden. Mal entziehen Investoren das Vertrauen, weil sie den profitablen Wachstumskurs gefährdet sehen. Unternehmen müssen diese kritische Phase rasch überwinden, um die bis dahin positive Entwicklung fortzusetzen.

Je früher man sich darauf einstellt, desto besser gelingt das. Mittelständische Unternehmen haben damit selten ein Problem. Innovationskraft, Flexibilität und Schnelligkeit sind ihre Stärken. Für größere Konzerne ist es dagegen eine Herausforderung, den natürlichen Kreislauf von „Wachstum – Konsolidierung – kritischer Phase – Neuausrichtung – weiterem Wachstum“ zu beherrschen.

Die Konzernkommunikation hat hierbei eine herausragende Rolle. Sie ist neben dem Top-Management der wichtigste  Impulsgeber für Wachstum und Modernisierung. Die Entwicklung des Unternehmens zu begleiten und funktionierende Kommunikationsprozesse sicherzustellen, genügt schon lange nicht mehr. Heute muss sie die Unternehmensentwicklung aktiv mit vorantreiben. Was das konkret bedeutet und welche drei Kernaufgaben sich für die Konzernkommunikation daraus ableiten, ist Thema der folgenden Überlegungen.

Aktuelles Beispiel: Unruhe bei Volkswagen – Qualität des Erfolgskurses auf dem Prüfstand

Mit dem Zerwürfnis zwischen dem inzwischen zurückgetretenen Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch und CEO Martin Winterkorn ist der Volkswagenkonzern in die Schlagzeilen geraten. „Warum funktioniert das jahrelang bewährte „Dreamteam“ Piëch/Winterkorn nicht mehr?“, fragte man sich. Und welche Rolle spielte die Kommunikation dabei? Eine solch erfolgreiche CEO-Profilierung und eine dynamische Entwicklung, wie sie Volkswagen vorweist, wäre schließlich ohne den Beitrag der Konzernkommunikation kaum vorstellbar. So gesehen könnte man in der Geschichte dann auch neue Aspekte jenseits der vorherrschenden Interpretationen erkennen.

Nüchtern betrachtet hatte Piëch „nur“ die Qualität des Erfolgskurses und seine nachhaltige Ausrichtung auf den Prüfstand gestellt. Die erfolgreiche und profitable Entwicklung des Konzerns in der Zukunft war offenbar ein Leitmotiv des Bruchs. Piëchs unternehmerische Vision und Winterkorns Erfolg, der sich in erreichtem Wachstum und Größe abbildet, haben an eine klassische Konfliktlinie geführt, an der auch in anderen Konzernen Aufsichtsrat und Management aneinandergeraten.

Wenn der Blick nach vorn erreichte Erfolge überlagert, entsteht Handlungsdruck. Piëch hatte Erwartungen (Ertragskraft, Technologieführerschaft, Funktionsfähigkeit der Marken in wichtigen Märkten etc.) und mahnte mit seinem Schritt ungeduldig unternehmenspolitische Weichenstellungen an. Automobilexperten hatten etliche offene Baustellen ausgemacht. Aus dieser Perspektive war Piëchs Schritt ein „Wachstumsbeschleuniger“, ein Impuls im natürlichen Kreislauf aus Wachstum und Veränderung. Diese Botschaft ist im Medienhype in den Hintergrund getreten.

Kommunikation unter Veränderungsdruck?

Was kann man daraus für die Kommunikation ableiten? Zunächst einmal die Erkenntnis, dass auch große Unternehmen mit guter Entwicklung und generell hervorragend aufgestellter Kommunikation leicht in eine kritische Phase geraten, wenn entscheidende Stakeholder (vor allem die Aufsichtsorgane) die Lage des Unternehmens anders bewerten als das Management. Kommunikation ist kein „sicheres“ Geschäft, und Konzernkommunikation schon gar nicht. Zu fragen wäre aber auch, wie wichtig diese Signale für die Kommunikation des erfolgsverwöhnten VW-Konzerns sind und wie man die angemahnte Weiterentwicklung unterstützen wird.

Piëch hat nicht nur den CEO, sondern indirekt auch die Konzernkommunikation beziehungsweise das oberste Kommunikationstandem von Winterkorn und Kommunikationschef Stephan Grühsem unter Druck gesetzt. Differenzen zwischen Management und Stakeholdern über unternehmensstrategische Fortschritte sind unbequem. Sie sind aber nicht außergewöhnlich und vor allem nicht unbeherrschbar.

Die Geschichte macht aus meiner Sicht deutlich, dass es permanent Impulse zur Modernisierung und Weiterentwicklung des Konzerns geben muss und dass diese gut kommuniziert werden sollten. Fortschritte und weiteres Wachstum brauchen kontinuierlichen Antrieb, auch und gerade wenn es dem Unternehmen gut geht.

Zwei Momentaufnahmen

Wie unterschiedlich man diese Anforderung begreifen kann und wie die Kommunikationspartner an der Spitze (CEO und Kommunikationsleitung) den Veränderungsdruck gestalten, zeigen die Momentaufnahmen zwei herausragender Teams. 2011 war das Tandem Winterkorn/Grühsem für seine Kommunikationsleistung mit dem Deutschen Image Award ausgezeichnet worden. Zur gleichen Zeit hatte ich auch in dem Beitrag „Der CEO und sein Kommunikationschef – Typologie einer besonderen Partnerschaft“ beide als Beispiel für eine kommunikationsfördernde Kooperation benannt.

Cut: Vor wenigen Monaten ist der gleiche Preis an das Wettbewerbstandem aus dem Daimler-Konzern, Dieter Zetsche und Jörg Howe, verliehen worden. Zetsche war vor einiger Zeit in vergleichbarer Lage wie heute Winterkorn, stand unter Druck, strategische Erfolge und erwartete Veränderungen zu liefern. In dieser kritischen Phase hat er die Weichen neu justiert und konnte den Wind – mit Unterstützung seiner Konzernkommunikation in beeindruckender Weise drehen. Die Daimler-Kommunikation und das Marketing wurden nach außen hin (und vermutlich mit gleicher Intensität auch intern) spürbar weiterentwickelt und in weiten Bereichen modernisiert, bis hin zum Einsatz der Social Media. Auch die Neuordnung der Agenturbeziehungen steht sicher für Wandel und Fortschritt in diesem Sinne.

Was lernen wir daraus?

Die Halbwertzeit der Konzernkommunikation ist kurz. Gestern erfolgreich, kann man heute unter Druck geraten. Der aber kann Basis und Motor für neue Erfolge sein.

Die Kommunikation großer Organisationen ist zur permanenten Modernisierung und Innovation gezwungen, um den Kreislauf von Wachstum und Erneuerung lebendig zu halten. Daimlers Beispiel zeigt, wie gut das funktioniert. Seien wir gespannt, wie die VW-Kommunikatoren nach dem erhöhten Druck auf Winterkorn ihren Erfolgskurs der letzten Jahre zukunftssicher machen. Mit Piëchs Schritt haben sie kurzfristig Luft gewonnen. Und den Anfang haben sie bereits gemacht.

Menetekel für die Kommunikation anderer Dax-Konzerne

Die Causa Volkswagen sollte hier nur ein Aufhänger sein, um die Problematik des Veränderungsdrucks und den Antrieb zur kontinuierlichen Modernisierung zu verdeutlichen. In anderen Dax-Konzernen ist die Lage schwieriger. Hier könnte die Kommunikation teilweise einen besonders großen Wertbeitrag leisten und notwendige Veränderungen intensiver unterstützen.

Beispiel: Deutsche Bank

So ringt etwa die Deutsche Bank seit langem um ihre Neuausrichtung, um an die Wachstumserfolge vergangener Zeiten anzuknüpfen:

  • Unternehmensentwicklung kritisch
  • Top-Management massiv unter Erwartungsdruck
  • Organisation starr, Unternehmenskultur wenig veränderungsaffin
  • Glanz der Unternehmensmarke am Verblassen
  • etc., etc.

Der Konzern tut heute viel, um mit Blick auf diese enormen Herausforderungen im Unternehmen Veränderungsbereitschaft und den notwendigen kulturellen Wandel anzuregen, aber welche Akzente setzt er? Auf jeden Fall kommen diese Impulse spät.

Im Rückblick wäre es sicher hilfreich gewesen, in der Konzernkommunikation die Spielräume der stürmischen Wachstumsphase zu nutzen, um einen Modernisierungskurs zu initiieren und die Kultur des Wandels im Unternehmen voranzutreiben. Die Kommunikation war lange Zeit statisch und eher auf die Profilierung des CEO ausgerichtet. Das erschwert bis heute – zumindest aus kommunikativer Sicht – die Lage zusätzlich für das Management; für das inzwischen abberufene Duo an der Spitze Anshu Jain / Jürgen Fitschen ebenso wie für den neuen CEO John Cryan und für den Kommunikationschef.

Beispiel: Siemens

Schwierig ist auch die Situation bei Siemens. Der Konzern ringt um den Kurs zur Rückkehr auf die Erfolgsschiene. In Deutschland machen Wettbewerber wie GE Deutschland Druck, auch in anderen Märkten sind Marktanteile umkämpft. Zu wenig „proaktive“ Kommunikation von unternehmens- und profilrelevanten Themen kann man Siemens aber gewiss nicht unterstellen.

Im Gegenteil: Das Unternehmen zeichnet sich seit jeher durch eine umfassende, innovationsgetriebene Kommunikation aus im Sinne eines breit angelegten Stakeholderdialogs. Siemens war und ist Impulsgeber in vielen Themenfeldern. Wenn trotzdem Erfolg und Größe das Unternehmen „träge“ gemacht und in etlichen Bereichen zur Selbstblockade geführt haben, fragt sich, welche Felder die Konzernkommunikation vielleicht vernachlässigt hat.

Die frühzeitige Veränderungs- und Restrukturierungskommunikation sowie das Bemühen, die Strahlkraft und Funktionsfähigkeit der Marke in internationalen Märkten zu sichern, wäre zum Beispiel zu prüfen. Siemens (wie auch viele andere Konzerne) hat sich lange schwer damit getan, entstehende Problembereiche frühzeitig als solche zu akzeptieren, Veränderungen zu initiieren und die Zukunftsfähigkeit zu sichern. Eine leistungsfähige Konzernkommunikation könnte hierbei die notwendigen internen Innovationsprozesse anregen und beflügeln.

Wo die Konzernkommunikation jeweils ihren Schwerpunkt setzt, kann man übrigens schon aus den Titeln der Geschäftsberichte ablesen. Bei Siemens zeigt sich zum Beispiel eine Ausrichtung auf Profil- und Kompetenzthemen sowie in 2009 und 2010 auf Nachhaltigkeit, während die grundlegende Zukunftsfähigkeit des Konzerns erst 2013 und 2014 das Leitmotiv darstellt, also sehr spät:

  • GB 2007: „Antworten auf wichtige Fragen unserer Zeit zu Industrie, Umwelt und Energie sowie Gesundheit.“
  • GB 2008: „Wie wird unsere Welt in Zukunft aussehen?“
  • GB 2009: „Wie können wir nachhaltig sein und zugleich profitabel wirtschaften?“
  • GB 2010: „Unser Weg zur nachhaltigen Wertsteigerung“
  • GB 2011: „Städte nachhaltig entwickeln“
  • GB 2012: „Vertrauen verbindet uns“
  • GB 2013: „Langfristig denken. Antworten geben.“
  • GB 2014: „Vision 2020“

Erfolgsbeispiele

Natürlich gibt es auch Beispiele für große Konzerne, die ihre zukunftsorientierte Weiterentwicklung mithilfe intensiver Kommunikation nach innen und außen sehr erfolgreich forcieren: die Deutsche Bahn ist hier auf einem mühsamen, aber beeindruckenden Weg (auch mit starker interner Kommunikation), Lufthansa hält sich trotz der immensen Herausforderungen, Bayer ist ein Paradebeispiel dafür, wie der Kreislauf von Wachstum und substanzieller Veränderung durch eine vorausschauende, auf Innovation ausgerichtete Konzernkommunikation begleitet und angetrieben wird.

Ein weiteres gutes Beispiel für kontinuierliche, erfolgreiche innovations- und wachstumsorientierte Kommunikation ist Nestlé Deutschland. In der Lebensmittelindustrie ist es besonders schwierig, Impulse für Fortschritt und Nachhaltigkeit so zu setzen, dass sie die Unternehmensentwicklung hin zu quantitativem und qualitativem Wachstum vorantreiben. Das gelingt Nestlé. Highlight-Maßnahmen wie die Ernährungsstudie oder die breit angelegte Qualitätsoffensive entfalten nach innen wie nach außen eine große Wirkung. Dieses Engagement dokumentiert aber eben nicht nur die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens, sondern treibt sie an.

Umgekehrt gibt es Konzerne, die sich, verwöhnt vom Erfolg, massiv gegen jeden Ansatz von Innovation und Weiterentwicklung wehren und damit nicht nur ihre Modernisierung versäumen, sondern auch ihre Existenz gefährdet haben. Markantestes Beispiel: der ADAC.

Erkenntnis

Die Reihe der Beispiele liesse sich fortsetzen (übertragbar auch auf Konzerne in der Schweiz und in Österreich, z.B. OMV). Auch meine eigene Vita würde hier viel Stoff bieten. Aus all diesen Beispielen kann man aber eines als Fazit festhalten: Die Kommunikation hat als Initiator und Beschleuniger einer zukunftsorientierten Unternehmensentwicklung eine wichtige Funktion. In Konzernen kann sie existenzielle Bedeutung erlangen.

Radius der Verantwortung

Kommunikationsmanager haben nach meinem Verständnis einen unternehmenspolitischen Auftrag, der weit über das eigentliche Kommunikationsmetier hinausgeht und dessen Grenzen zu anderen Unternehmensbereichen oft fließend sind. Sie sind auch als Beziehungsmanager (Stakeholder Relations), als Reputationsmanager und eben auch als Impulsgeber für Innovationen gefordert.

Natürlich ist auch in großen Konzernen die Kommunikation nur ein Rädchen im Getriebe, aber die Mitverantwortung für die Zukunft von Arbeitsplätzen, Lieferantenbeziehungen, für den Shareholder- und den Stakeholder Value durch Setzen der richtigen Impulse kann man nicht ignorieren.

Kreislauf der Erneuerung: Phasen der Konzernkommunikation

Wie in den Beispielen aufgezeigt, kann man drei Kommunikationsphasen unterscheiden, die Unternehmen wie in einem sich stetig wiederholenden Kreislauf erleben. In kleineren Unternehmen spielen sie keine große Rolle, weil dort die Anforderungen der Kommunikation meist transparent und unmittelbar zu erfüllen sind. In Konzernen sind für jede Phase aber unter Umständen eigene Strategien und umfangreichere Konzepte erforderlich. Deswegen sollen diese Phasen hier nochmals kurz skizziert werden.

Die Entwicklung der Konzernkommunikation verläuft synchron zur Entwicklung / Profilierung des CEO und zur Unternehmensentwicklung; die Prozesse beeinflussen sich gegenseitig.

Das Schaubild zeigt den Kreislauf der Konzernkommunikation mit Blick auf Wachstum und Neuausrichtung:

Kreislauf der Erneuerung in der Konzernkommunikation
Kreislauf der Erneuerung in der Konzernkommunikation

1) Start- und Aufbauphase:

Die Grundlage zur Entwicklung eines starken Kommunikationsprofils werden geschaffen, z.B. indem unternehmensrelevante Themen (Kompetenzen, Prozesse, Werte, Nutzen für Kunden und andere Stakeholder) definiert und vermittelt werden. Die Themen- und Meinungsführerschaft wird in einzelnen Kompetenzfeldern angestrebt. Eine (international) leistungsfähige Infrastruktur für die Konzernkommunikation wird aufgebaut, um den Bedarf der Stakeholder und deren Anforderungen bedienen zu können.

Da diese Phase oft mit dem Start eines neuen CEO einhergeht, hat die Profilierung und Positionierung des neuen Top-Managements ein besonderes Gewicht. In dieser Phase etabliert sich auch die besondere Partnerschaft aus CEO und führenden Kommunikationsmanagern (siehe dazu den oben erwähnten Beitrag zum CEO und seinem Kommunikationschef).

Der (neue) CEO stellt in dieser Phase die Weichen für die Unternehmensentwicklung, er definiert Ziele, Meilensteine und Maßnahmenschwerpunkte der angestrebten Unternehmensentwicklung, woran sich die Konzernkommunikation orientieren muss.

Aus der Unternehmensperspektive gesehen, beginnt jetzt die Wachstumsphase oder erhält – soweit es sich um eine Neuausrichtung handelt – neue Schubkraft.

2) Phase der Begleitung und Förderung von Wachstum und Expansion sowie fortgesetzte Profilierung:

Dynamisches Unternehmenswachstum ist eine Herausforderung für die Kommunikation. Sie begleitet und fördert die Entwicklung mit Impulsen (das können z.B. besondere Maßnahmen und  Plattformen insbesondere für die interne Kommunikation sein, internes „Agenda Setting“, interne Kampagnen o.ä.). Das Kommunikationsprofil wird weiter geschärft und konsolidiert. Kommunikationsstrukturen werden an größere und internationale Konzernstrukturen und veränderte Anforderungen angepasst. Auch die Profilierung und Positionierung des CEO geht in dieser Wachstumsphase weiter. Alle Signale zeigen nach vorne, trotzdem darf die kritische Reflexion von Chancen und Risiken nicht nachlassen.

Wichtig ist auch, dass die Aktualität und Attraktivität der Marke und des Kommunikationsauftritts nicht aus dem Blickfeld geraten. Wie groß diese Gefahr gerade in Zeiten des stürmischen Wachstums und der Expansion ist und welcher Schaden durch eine Verwässerung und zunehmende Langweiligkeit der Marke entstehen kann, konnte man vor einigen Jahren am Beispiel des Modekonzerns Esprit beobachten. Er war in diese – beinahe existenzbedrohende – Falle geraten.

Der CEO untermauert und schärft in dieser Phase sein Profil als „Wachstumstreiber und aktiver Unternehmensentwickler“.

Das Unternehmen verändert sich nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ, denn viele Prozesse, etwa die flächendeckende Kundenbetreuung, das Risikomanagement und alle Steuerungsfunktionen, funktionieren in großem Maßstab anders.

3) Kritische Phase:

Und dann geschieht das auf den ersten Blick Widersprüchliche: Zunehmende Risiken, erhöhte Angreifbarkeit in vielen Feldern und höhere Intransparenz entstehen als eine Konsequenz dynamischen Wachstums. Sie können zur Abschwächung oder zum Einbruch führen. Kritische Phasen können sich zur Krise entwickeln.

Die Konzernkommunikation muss jetzt in den Veränderungsmodus schalten (ggf auch in den Krisenmodus). Sie muss auf Problemthemen vorbereitet sein und gleichzeitig die zur Gewohnheit gewordenen Kommunikationserfolge neu beleben. Erwartet werden wirkungsvolle Maßnahmen und schlaues Themenmanagement, um Impulse für Fortsetzung oder Beschleunigung der positiven Geschäftsentwicklung zu setzen.

Die Veränderungsbereitschaft im Unternehmen zu stärken, ist dabei ein wichtiger Punkt. Das ist eine kulturelle Mammutaufgabe in jedem Konzern.

Langweilig gewordene Kommunikations- und Markenprofile sind in dieser Phase mit neuem Leben zu füllen. Dazu eignen sich zum Beispiel konzernweite Innovations- oder Fortschrittskampagnen, man denke an die umfangreich durchdeklinierten Innovationsinitiativen von Henkel oder an die Future Store Initiative der Metro Group.

Die Kooperation im obersten Kommunikationstandem aus CEO und Kommunikationschef muss sich in dieser kritischen Phase besonders bewähren. Oftmals ist nämlich gerade in den Top-Etagen bei langanhaltendem dynamischem Wachstumskurs eine „Ermüdung“ zu beobachten.

Wenn infolgedessen der Handlungsspielraum eines CEO schrumpft (z.B. durch „Abschottung“ oder partielle Wahrnehmung wichtiger Signale), ist das existenzbedrohend. Dann hängt viel vom offenen, intensiven Dialog mit den eigenen Kommunikationsprofis zur Suche nach neuen Impulse ab.

In dieser Phase steht der CEO unter Druck. Wenn die Substanz und Zukunftsfähigkeit des Wachstumskurses hinterfragt werden, gibt das Kratzer an seinem Profil (auch spürbar für die Aktie).

Aus Unternehmenssicht betrachtet, dominiert in dieser Phase die Problembewältigung. Die Wettbewerbsposition ist bedroht. Die Attraktivität der Marken stagniert oder sinkt. Ein Kurswechsel oder eine Neuausrichtung werden notwendig, was zu Einschnitten und Unruhe im Unternehmen führen kann.

In dieser Phase gibt es kein „weiter so“. Trägheit muss vermieden werden. Nur die (frühzeitige) kritische und lösungsorientierte Auseinandersetzung mit den richtigen Themen führt zu konkreten Verbesserungen im Geschäft. Für die Kommunikation bedeutet das einen Kurswechsel. Dabei ist auch besonders die interne Kommunikation gefordert.

„Reset“ oder „Exit“

Wird die Herausforderung der kritischen Phase gut gemeistert, geht es im Sinne der ersten Phase weiter. Mit neuer Dynamik kann das Unternehmen dann durchstarten. Wird die Herausforderung der kritischen Phase aber nicht gemeistert, kann das die Halbwertzeit des CEO und auch der verantwortlichen Kommunikationsmanager im Konzern verkürzen.

Je größer das Unternehmen und je schneller sich der Kreisel der Erneuerung dreht, desto entscheidender ist es, dass die Konzernkommunikation die kritischen Phasen mit allen Kommunikationschancen und -risiken frühzeitig erkennt. Deswegen ermuntere ich immer wieder zur kritischen Reflexion im Kommunikationsmanagement.

Im Beitrag „Impulse für die Kommunikationsplanung – sechs Fragen, über die Sie Klarheit gewinnen sollten“ habe ich vor kurzem wieder dazu aufgerufen.

Konzernkommunikation muss drei Anforderungen erfüllen

Was generell bei der Neuausrichtung der Kommunikation zu berücksichtigen ist und wie man vorgeht, soll hier nicht erörtert werden. Dazu verweise ich auf den Beitrag „Wie die Neuausrichtung der Unternehmenskommunikation gelingt: Anregungen zur Weichenstellung für mehr Effizienz und Glaubwürdigkeit“, in dem ich 10 goldene Regeln formuliert habe.

Für die Konzernkommunikation kann man aus dem genannten Kreislauf und den Unternehmensbeispielen vielmehr drei Anforderungen ableiten. Je besser diese erfüllt werden, desto besser kann die Konzernkommunikation dem Fortschritt und der Weiterentwicklung des Unternehmens dienen:

  1. Konzernkommunikation muss konsequent zur Modernisierung, zum Fortschritt und zum Wachstum des Unternehmens anregen. Für sie gilt besonders: „Stillstand ist Rückschritt“. Das bedeutet, nicht nur aufmerksam zu sein für aufkommende unternehmensrelevante Themen und diese frühzeitig für das Unternehmen und seine Profilierung (aber auch für die interne Sinnstiftung) zu nutzen. Die Kommunikation muss auch eine aktive Rolle als Impulsgeber im weitesten Sinn spielen. Konzernkommunikation als Repräsentation und als Sprachrohr des Managements: das war einmal so. Heute ist sie Ausdruck aktiver Gestaltung. Damit wird sie zum Instrument und elementaren Bestandteil einer guten Unternehmensführung.Wie man Anreize für Neues schafft, dafür gibt es endlose Möglichkeiten: Immer wieder neue gute Highlightmaßnahmen (siehe Nestlés Initiativen rund um Ernährung) sind ebenso geeignet wie wiederkehrende Tools oder Rituale mit hoher Attraktivität und wechselnden Themenschwerpunkten (hier ist das Metro-Handelslexikon ein hervorragendes Beispiel, das bereits seit vielen Jahren immer wieder eine enorme Wirkung erzielt).
  2. Konzernkommunikation bedeutet permanentes Veränderungsmanagement. Sie muss es schaffen, Veränderung und Innovation als ein Leitprinzip der Unternehmenskultur zu verankern. Dazu kann sie zum Beispiel Plattformen bereitstellen, die den Dialog nicht nur anregen, sondern bewusst forcieren (gutes Beispiel: Daimler-Blog). Eine starke, veränderungsbereite Unternehmenskultur macht flexibel und widerstandsfähig. Das zahlt sich in kritischen Phasen aus. Die Attraktivität der Unternehmensmarke sowie der Markenfamilie zu bewahren, ist eine weitere kritische Anforderung an die Kommunikation. Marken müssen bei starkem Wachstums- und Expansionskurs ihrer Identität treu bleiben und gleichzeitig im veränderten Umfeld „funktionieren“.
  3. Die Manager der Konzernkommunikation sind unentbehrliche Beratungs- und Sparringspartner des Top-Managements. Sie können viel dazu beitragen, die Offenheit und Flexibilität des CEO zu bewahren. CEOs großer Konzerne sind oft „einsamer“ als man denkt. Ohne den engen Austausch mit ihrem Kommunikationsteam hätten sie es schwer. Sie hätten dann kein Stimmungsbarometer und würden Signale der Stakeholder und deren Bedeutung für die Kommunikation vielleicht nicht richtig wahrnehmen. Kommunikationschefs sollten allerdings aufpassen, sich nicht ausschließlich auf die Person des CEO zu fixieren und darüber andere Aufgaben zu vernachlässigen. Der Kommunikationserfolg könnte darunter leiden (das habe ich im Beitrag „Kooperation im Kommunikationsmanagement: Wie die Art der Zusammenarbeit Kommunikationserfolge beeinflusst“ ausgeführt).

Das sind – auf den ersten Blick – drei banale Anforderungen. Sie im großen Rahmen – auf Konzernebene – im Blick zu behalten, ist aber keineswegs banal, wie der Blick auf die Dax-Unternehmen zeigt. Die Konzernkommunikation folgt nämlich teilweise anderen Gesetzmäßigkeiten.

Beispielsweise ist es viel aufwändiger, Vorgaben des Managements (etwa bestimmte Standards der Kundenbetreuung, technische Standards, Unternehmenswerte oder Spielregeln einer nachhaltigen Unternehmenspraxis) konzernweit umzusetzen oder bestimmte unternehmensrelevante Themen zu erklären. Unternehmenspolitische Interessen sind vielfältiger. Alles ist komplexer. Wer aber diese drei Aspekte meistert, hat schon viel gewonnen.

Umdenken! Konzernkommunikation muss vor allem nach innen wirken

Diese Betrachtungen offenbaren noch eine weitere Wahrheit, die für den Kommunikationserfolg in Konzernunternehmen ebenfalls nicht unerheblich ist. Konzernkommunikation ist gewöhnlich stark nach außen gerichtet. Sie wird damit dem großen Kommunikationsbedarf der Öffentlichkeit, der Medien und des Kapitalmarkts gerecht. Deren Interesse liegt eher bei den großen Playern im Markt. Sie prägen die Schlagzeilen und beeinflussen das Börsengeschehen.

Erfolgreich sind Unternehmen aber nur, wenn sie im Innern gut funktionieren. Alle drei Anforderungen zielen darauf ab. Deswegen muss die Konzernkommunikation vor allem nach innen wirken. Eine gut funktionierende und angemessen ausgestattete interne Kommunikation ist das Herz der Konzerne.

Fazit

Dass sich Ferdinand Piech mit Konzernkommunikation befasst, ist unwahrscheinlich. Welchen Einfluss auf diese aber sechs Worte aus seinem Mund haben können („Ich bin auf Distanz zu Winterkorn“), darüber könnte man ungeachtet der jüngsten Entwicklungen länger philosophieren. Als Anregung, sich der Herausforderungen der Konzernkommunikation bewusst zu werden, eignet sich die Geschichte allemal.

Am Ende bleibt hängen:

  1. Die Neuausrichtung ist eine immer wiederkehrende Aufgabe der Konzernkommunikation. Sie muss aktiv zur Modernisierung und zur Sicherung des Wachstumskurses beitragen.
  2. Veränderungen anzuregen und die Veränderungsbereitschaft im Konzern lebendig zu halten, muss ihr Leitprinzip sein. So zahlt sie auch auf die gesunde Weiterentwicklung der Unternehmenskultur ein.
  3. Die Berater- und Sparringsfunktion der Konzernkommunikation ist für das Top-Management unentbehrlich. Für die zukunftsorientierte Weiterentwicklung des Unternehmens liefert die besondere Partnerschaft zwischen CEO und Kommunikationsteam wichtige Impulse.

Die starke Präsenz der großen Konzerne in der Öffentlichkeit darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine starke Konzernkommunikation vor allem nach innen wirken muss!

Noch eines zum Schluss: Die Entstehung immer größerer und komplexerer Unternehmensorganisationen ist ein Megatrend. Komplexität zu beherrschen, ist eine der zentralen Herausforderungen für uns alle, die daraus resultiert. Auch in dieser Beziehung müssen wir in der Konzernkommunikation umdenken. Rezepte von gestern funktionieren morgen nicht mehr.